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28. January 2022
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Philippa Sigl-Glöckner

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Geldbrief

Der Zinshammer – Wie Zentralbanken Inflation bekämpfen

11 min Lesezeit

Philippa Sigl-Glöckner

Es wurde zuletzt wiederholt gefordert, dass die Europäische Zentralbank als Reaktion auf die gestiegenen Energiepreise die Zinsen erhöhen solle. Um zu evaluieren, ob eine solche Zinserhöhung auf Basis des heutigen Informationsstands die beste Handlungsoption darstellt, ist es hilfreich, sich die Wirkungsweise der Geldpolitik etwas genauer anzusehen. Das tun wir hier und skizzieren, welche Implikationen die Entscheidungen, die Zinsen zu erhöhen oder am bisherigen Kurs festzuhalten, mit sich bringen können. Sollten Sie, solltet Ihr eine Meinung dazu haben, ob die EZB die Zinsen (nicht) erhöhen soll, freuen wir uns über Zuschriften an info@dezernatzukunft.org.     

Wie funktioniert die „geldpolitische Transmission“?

Die Zentralbank bestimmt die Zinssätze, zu denen sich Geschäftsbanken bei ihr Zentralbankgeld leihen, bzw. es hinterlegen können. Ihre direkte Interaktion beschränkt sich also auf Banken. Daraus folgt zweierlei: Erstens, wie die Geldpolitik sich am Ende auswirkt, ist auch immer ein Stück weit vom Finanzsektor abhängig (während der Staat mit der Fiskalpolitik, also Ausgaben und Einnahmen, unmittelbar auf die Realwirtschaft einwirkt). Zweitens, Geldpolitik wirkt mit Verzögerung, da sie nicht direkt die Preise im Supermarkt beeinflusst, sondern nur die Bank, die den Herstellern der Produkte im Supermarkt einen Kredit gibt. So dauert es ca. 12-18 Monate bis eine straffere Geldpolitik einen Effekt zeigt.

Wie das nächste Schaubild der Bundesbank zeigt, gibt es einige Wege, über die sich eine Zinsänderung auf die Realwirtschaft auswirken kann:

Wie das Schaubild zeigt, gibt es fundamental zwei Wirkungsweisen: Erstens, indem die Zentralbank Erwartungen über zukünftige Entwicklungen beeinflusst und damit zum Beispiel Kredit-/Kaufentscheidungen, Lohnverhandlungen. Diese Wirkungsweise ist oft am schwersten vorherzusagen, da niemand so genau weiß, wie, wann und warum sich Erwartungen bilden.

Zweitens wirkt die faktische Zinsänderung über zahlreiche Kanäle:

  1. Zinskanal: Indem die Zentralbank den Geschäftsbanken für ihr Kontoguthaben täglich Zinsen zahlt, beeinflusst sie die Zinsen für alle Tagesgelder und Übernachtkredite: Keine Bank würde weniger Zinsen akzeptieren, als die Zentralbank zahlt (aktuell ist dieser Zins negativ, das Prinzip bleibt aber das Gleiche). Daher verteuern höhere Zinsen Kredite; Unternehmen und Privatpersonen wollen weniger Kredite für Investitionen aufnehmen. Wird weniger investiert, sinkt die Nachfrage nach Gütern in der Realwirtschaft; zu den Auswirkungen fallender Nachfrage später mehr.
  2. Wechselkurskanal: Eine Zinserhöhung führt dazu, dass es auch für Investoren aus dem Ausland relativ attraktiver wird, ihr Geld in Euro anzulegen. Wenn diese ihre Währung verkaufen, um sie in Euro anzulegen, steigt der Wechselkurs. Ein steigender Wechselkurs verteuert aber auch europäische Güter im Ausland, sodass diese weniger gekauft werden. Schließlich sinken auch die Importpreise, da ausländische Güter ja nun relativ gesehen billiger geworden sind. Weniger Exporte, mehr Importe, so sinkt die Nachfrage nach heimischer Produktion. Sinkende Importpreise führen außerdem direkt zu sinkenden Preisen und üben einen Konkurrenz- und Kostendruck auf die heimischen Löhne aus.
  3. Vermögenskanal: Höhere Zinsen bedeuten, dass zukünftige Zahlungsströme (zum Beispiel Mieten oder Dividenden) weniger wert sind. Warum das so ist, haben wir hier erklärt. Die Wertverluste von Aktien- oder Immobilieninhabern führen dazu, dass diese sich ärmer fühlen und weniger konsumieren, die Nachfrage geht zurück.
  4. Kredit(würdigkeits)kanal: Der Zinsanstieg kann auf zwei Wegen den Kreditnehmer weniger kreditwürdig machen. Erstens, über den Bilanzeffekt: Der oben beschriebene Wertverlust von Vermögenswerten bedeutet auch, dass Immobilien, die als Sicherheiten für Kredite genutzt werden, weniger wert sind. Das kann dazu führen, dass Kreditnehmer höhere Schulden haben, als ihre Sicherheiten wert sind, wodurch Anschlussfinanzierungen schwieriger und Ausfälle wahrscheinlicher werden (mehr hierzu findet sich bei Richard Koo). Zweitens gelten bei steigenden Zinsen viele potenzielle Kreditnehmer nicht mehr als kreditwürdig. Ein Beispiel: Wer heute eine Dreizimmerwohnung in Berlin für 700 000 EUR kaufen möchte, zahlt darauf 1% Zinsen für 10 Jahre und muss mindestens 2% pro Jahr tilgen (entspricht Ausgaben von 21 000 EUR). Das Risikomanagement der Bank sagt aber, dass der Kunde mindestens eine Zinserhöhung von 2,5% aushalten können muss (+17 500 EUR). Entsprechend bekommt heute nur einen Kredit, wer laut Ansicht dieser Bank 38 500 EUR pro Jahr aufbringen könnte. Wenn nun die Zinsen um 1 Prozentpunkt steigen, müsste der Kreditnehmer laut Ansicht der Bank schon 45 500 EUR pro Jahr aufbringen können. Bei steigenden Zinsen sind daher weniger Kreditnehmer kreditwürdig. Abnehmende Kreditwürdigkeit, sowohl aus bilanziellen als auch aus Einkommensgründen führt dazu, dass weniger Kredite vergeben werden. Eine verringerte Kreditvergabe durch bilanzielle als auch durch Einkommenseffekte führt zu weniger Nachfrage.

Nicht alle, aber doch viele der oben beschriebenen Kanäle wirken schlussendlich, weil sie zu einer verringerten Nachfrage führen. Doch wie übersetzt sich weniger Nachfrage in niedrigere Preise? Zum einen direkt: Wird weniger gekauft, setzen Unternehmen ihre Preise herunter, um trotzdem noch die eigenen Produkte loszuwerden. Zum anderen indirekt über Löhne: Denn wenn weniger gekauft wird, brauchen Unternehmen weniger Arbeitskräfte. Das führt dazu, dass Arbeitskräfte eine schwächere Verhandlungsposition haben und weniger hohe Löhne verlangen können, ja ggf. sich eher um ihren Job sorgen müssen. Das wiederum senkt die Kosten der Unternehmen und erlaubt ihnen ihre Produkte günstiger anzubieten.

Auslastungsgrenzen – Geldpolitik vs. Fiskalpolitik

Sowohl die europäische Geld- als auch die Fiskalpolitik beschäftigt die Frage, wo das maximale Nachfrageniveau ohne gleichzeitige Inflation liegt (also die Nachfrage nach Arbeit das Angebot gerade nicht so weit übersteigt, dass Arbeitende ihre Gehälter immer weiter hoch verhandeln können). Man würde schließlich gerne vorhersagen können, wann der Punkt erreicht ist, an dem die Geld- bzw. Fiskalpolitik die Wirtschaft bremsen muss. Da man das nicht empirisch beobachten kann, wurden Schätzungen des wirtschaftlichen „Produktionspotenzials“ und der NAWRU (non-accelerating wage rate of unemployment oder niedrigste Arbeitslosenquote, ohne die es nicht zu sich beschleunigendem Lohnwachstum kommt) entwickelt. Diese Größen haben sich jedoch als sehr problematisch erwiesen, unter anderem da die geschätzte niedrigst mögliche Arbeitslosenquote teils sehr hoch lag, aber auch bei ihrer Unterschreitung keine Inflation stattfand. Die Modelle sagten also fälschlicherweise voraus, dass Menschen arbeitslos sein und dass Notenbanken etwas dagegen unternehmen müssten, wenn die Arbeitslosigkeit sinke. Aufgrund dieser Problematik nutzt die EZB die NAWRU nur als einen Indikator von vielen zur Analyse von „Slack“, also um zu fragen wie viel mehr Produktionskapazität noch in der Wirtschaft steckt, bevor zusätzliche Nachfrage die Inflation befeuern würde. Im Gegensatz zur EZB nutzen die europäische und die deutsche Fiskalpolitik die Indikatoren, um die rechtlich bindende Neuverschuldungsgrenze festzulegen, sodass Fehler sich deutlich fataler auswirken.

Eine Zinserhöhung bremst die Preisentwicklung also vor allem darüber, dass sie über verschiedene Wege die gesamtwirtschaftliche Nachfrage reduziert. Dabei ist sie wenig präzise und produziert als Kollateralschaden oftmals verringerte Beschäftigung. Es ist ein bisschen so als würde man (in Zeitlupe) mit einem Hammer auf die gesamte Wirtschaft hauen. Es gibt Situationen, in denen dies gerechtfertigt sein kann. So erhöht eine davongaloppierende Inflation die Unsicherheit der Wirtschaftsteilnehmer und es ist nicht einfach, sie loszuwerden; aber um richtig abzuwägen, sollte man sich der Wirkungsweise und Nebenwirkungen bewusst sein. Eine Zinserhöhung ist eben keine eierlegende Wollmilchsau, die es schafft, unser Geld auf dem Konto zu vermehren, Lebensversicherungen und Banken zu retten und dabei irgendwie noch zu einer auf Hochtouren laufenden Wirtschaft beiträgt; sondern eher eine Notlösung, die vor allem dann in Frage kommt, wenn die Löhne bei Vollbeschäftigung schneller als die Wirtschaft wachsen – was langfristig nicht ohne Inflation möglich ist.[1]

Was bedeutet das nun für Zinserhöhungen?

In den USA sind die Preissteigerungen die Folge von gestörten Lieferketten, die das Angebot verringern, gestiegenen Energiepreisen und einer hohen Nachfrage in Folge der Stimulus Checks, die dazu führten, dass die Amerikaner wesentlich mehr Geld sparen konnten als sonst.

Nebeneffekte sind unter anderem eine schnell fallende Arbeitslosenquote in den USA, stark ansteigende Löhne am unteren Ende der Lohnskala (siehe folgenden Chart) und für Berufseinsteiger. Die dunkelrote Linie zeigt das Lohnwachstum der Menschen in den USA an, die zu 25% mit den niedrigsten Einkommen gehören. Seit 2014 steigen deren Löhne stärker als die von Menschen mit höheren Einkommen, wobei sich dieser Trend in 2021 noch einmal deutlich verstärkt hat. Es hat sich gezeigt, dass ein starker Arbeitsmarkt und niedrige Arbeitslosigkeit Menschen mit niedrigen Einkommen noch mehr nutzt als anderen. Aktuell gibt es in den USA deutlich mehr Jobangebote als Jobsuchende.

Reduzieren die US-Amerikaner nun durch eine Zinserhöhung die Nachfrage, hat das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen dämpfenden Effekt auf die Preise, da zumindest ein Teil der Inflation mit verhältnismäßig hoher Nachfrage zu tun hat. Das würde sich aber ebenso am Arbeitsmarkt bemerkbar machen und einigen der erstrebenswerten Entwicklungen (im Gegensatz zu Deutschland schaffen es die USA über einen Marktmechanismus, dass niedrige Löhne schneller wachsen als hohe) entgegenwirken.

Der Fall der Eurozone ist ein anderer. Die Preisanstiege hierzulande sind vor allem von Energiepreisen getrieben, die Löhne weniger gestiegen als nötig für das 2% Inflationsziel der EZB.[2] Eine Überhitzung des Arbeitsmarkts lässt sich bisher nicht beobachten. Im Gegensatz zu den USA würde die Zinserhöhung nicht auf eine schnell ansteigende Nachfrage und wachsende Löhne treffen. Sie würde die Einkommensperspektive von Unternehmen und Haushalten verschlechtern, die gleichzeitig mit hohen Energiepreisen konfrontiert sind. Dazu liegen die mittelfristigen Inflationserwartungen bei 1,9%, also ebenso unter dem Inflationsziel der EZB.

Befürworter einer Zinserhöhung argumentieren oft damit, dass Lohnanstiege sich zwar noch nicht in den Daten zeigen, aber garantiert kommen würden, sodass die EZB lieber jetzt als später handeln sollte, um ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Aus dieser Motivation heraus erhöhte die EZB 2011 in Folge einer von dem Ölpreis auf 3% getriebenen Inflation die Zinsen, während Europa in die Eurokrise schlitterte. Anstatt das Preisstabilitätsziel zu erreichen, verfehlte es die Eurozone jedoch deutlich, insbesondere zwischen 2013 und 2017. Gleichzeitig gab es erhebliche Kollateralschäden in Form einer “Double-Dip” Rezession, die den USA und Großbritannien erspart blieb, unter anderem da dort die Geldpolitik eine Zinserhöhung vermied.

Zusammengefasst: Die Zentralbank hat keinen roten Knopf, mit dem sie zielgerichtet jeder Art von Preissteigerung entgegensteuern kann, ohne größere Nebenwirkungen auszulösen. Im Gegenteil: die meisten Kanäle, über die Zinserhöhungen Einfluss auf die Realwirtschaft haben, wirken, indem sie die gesamte Nachfrage reduzieren, Lohnwachstum bremsen und die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern. Trotzdem kann eine Zinserhöhung nötig sein: Ein stabiler Geldwert ist ein hohes Gut. Es hat aber seine Gründe, wieso Zentralbankhammer nicht ganz so flott unterwegs sind wie manch ein Namensvetter.

Mit Dank an Florian Kern und Max Krahé für ihren Input.


Fußnoten

[1]  Kurz- und mittelfristig kann ein Anwachsen der Löhne das über das Produktivitätswachstum hinaus geht auch dann ohne Inflation geschehen, wenn die funktionale Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit sich in Richtung Arbeit verschiebt. Der umgekehrte Fall – eine Umverschiebung von Arbeit zu Kapital – hat in Europa seit dem Ende der 1970er Jahre stattgefunden.

[2] Da man 1% Produktivitätssteigerung annimmt, bedarf es laut EZB eines Lohnanstiegs von 3% pro Jahr, um mit den Löhnen auf Kurs des Inflationsziels zu sein, 2021 kam die Eurozone aber nur auf 2,5%.


Medienbericht 26.01.2022

  • Max Krahé hat zusammen mit Jens van’t Klooster und Benjamin Braun am 14.01 einen Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung verfasst, in dem sie Sexismus in der deutschen ökonomischen Debatte am Beispiel der Reaktionen auf einen Beitrag von Isabella Weber kritisieren.
  • Wir kamen mehrmals im Chartbook von Adam Tooze vor. Am 18.01 hat er im Rahmen einer Erklärung der Inflationsdebatte in Deutschland das Streitgespräch zwischen Hans-Werner Sinn und Philippa erwähnt, wie auch am 20.01 einen Twitter-Thread von Max, in dem er argumentiert, das wir primär ein Verteilungs- und kein Inflationsproblem haben.
  • Pola hat am 20.01 einen Artikel für Makronom mit Titel „Gerechtigkeit für die „Generation Corona“?“ verfasst. Sie erklärt die ökonomischen Probleme, welche auf junge Menschen im Rahmen der Corona-Krise zukommen und wie man sie bekämpfen kann.
  • Wir haben durch Förderung der Stiftung Fondazione Giacomo Brodolini unser European Macro Policy Network nach Italien erweitert. Die Stiftung erhält in den Jahren 2022 und 2023 Mittel in Höhe von 270.250 € und wird bei der Durchführung ihrer Projekte mit der Universität La Sapienza in Rom kooperieren.
  • Florian Kern war am 24.01 zu Gast beim Fachbereich Wirtschaft&Soziales der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen um zu Inflation und Energiepreisen vorzutragen.
  • Im neuen Blog Politik & Ökonomie erklärt Florian Schuster, warum wir in der heutigen Zeit neu und anders über Staatsschulden nachdenken sollten und wie eine zukunftsfähige Finanzpolitik aussehen kann.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Geldpolitik und der Finanzmärkte. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an info[at]dezernatzukunft.org


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