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1. February 2020
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Dienstleistungen: Die Zukunft des internationalen Handels?

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DEZERNAT ZUKUNFT

Trade in Services – worum geht es und wie wichtig ist das Ganze?

Spätestens seit Trumps Wahlsieg 2016 steht der Freihandel auf dem Prüfstand wie lange nicht mehr. Und da nach dem Brexit gestern nun die Verhandlungen der zukünftigen EU-UK Handelsbeziehungen beginnen dürfte die Frage des Freihandels auch in Zukunft im Rampenlicht stehen.

Im Zentrum dieser Debatten finden sich oft Waren, wie zum Beispiel Stahl, Autos, und Lebensmittel: das Chlorhühnchen oder vermeidliche Kabeljaukriege lassen grüßen. Der Dienstleistungssektor hingegen findet weniger Beachtung. Dieser ist oft ein Nebenschauplatz in Handelsdebatten, obwohl 65 Prozent des globalen BIP aus dem Dienstleistungssektor stammen—in vielen Industrieländern sogar 80 Prozent.

Diese Unwucht hat Tradition: schon lange haben sich Freihandelsabkommen auf Waren konzentriert. Obwohl seit den 1990er Jahren auch Dienstleistungen Teil von Handelsverträgen geworden sind, waren Verhandlungen im Warenbereich stets erfolgreicher.[1] So sind zum Beispiel die durchschnittlichen Handelskosten für Güter zwischen 1995 und 2007 um circa 15 Prozent gesunken, während die Kosten für den internationalen Handel von Dienstleistungen im selben Zeitraum leicht gestiegen sind.[2]

Woher diese Diskrepanz? Verhandlungen im Dienstleistungsbereich berühren oft sensible nationale Regelwerke. Damit sich Verhandlungen und Veränderungen lohnen müssen die zu erwartenden Kostensenkungen und Wohlfahrtsgewinne größer sein als die zu erwartenden politischen und gesellschaftlichen Kosten. Das ist schwierig, denn oftmals handelt es sich im Dienstleistungsbereich um gesellschaftspolitisch sensible Regeln, z.B. die Qualifikationen, die Ingenieure, Wirtschaftsprüferinnen, oder Architekten zur Zulassung brauchen, Gesetze, die das Handwerk betreffen, oder Finanzregularien für Banken, Versicherungen, Vermögensberater, oder Immobiliendarlehen.

Gleichzeitig ist die zu erwartende Steigerung der Wirtschaftsleistung moderat: der Internationale Währungsfonds schätzt, dass eine Senkung der Kosten und Handelsbarrieren im Dienstleistungssektor um 15 Prozent—also das, was für Waren von 1995 bis 2007 erreicht wurde—langfristig das BIP der G20-Staaten um einmalig 0,5 Prozent steigern könnte.[3] Insgesamt, also für die G20 als Ganze gesehen, entspricht dies zwar der Wirtschaftskraft Südafrikas, doch aufs einzelne Land gerechnet ist dieser Einmaleffekt deutlich kleiner. Manche Länder, wie z.B. Deutschland, profitieren laut IWF-Simulationen zwar mehr, doch auch hier bleibt der Wachstumsgewinn moderat, mit einem einmaligen Langfristeffekt von 1 Prozent zusätzlicher Wirtschaftsleistung.[4]

Trade in Services ist also durchaus gewichtig. Doch die Verhandlungsmasse ist kompliziert und politisch sensibel. Freihandelsabkommen bieten nicht zwingend die besten Werkzeuge um die Herausforderungen des internationalen Handels mit Dienstleistungen im 21. Jahrhundert zu lösen.

Gibt es effektive Regeln für den internationalen Handel mit Dienstleistungen?

Der Handel mit Dienstleistungen ist komplex. Man kann in einem Tweet mit 240 Zeichen die Erhöhung oder eben auch die Absenkung von Stahlzöllen verkünden. Derart eindeutige Hebel gibt es beim Handel mit Dienstleistungen nicht. Vielmehr geht es hier um vielschichtige Regelwerke, um berufliche Qualifikationen, oder um Praktiken von Aufsichtsbehörden. Dies bezeichnet man als Handelshemmnisse die sich hinter den Landesgrenzen befinden, oder—im Jargon—als nicht-tarifäre Handelsschranken.[5] Zusätzlich sind die Handelsschranken im Exportland oft sogar bedeutender als die im Empfängerland.[6]

Wichtiger noch als ihre Komplexität sind die Funktionen der Regelwerke, deren Unterschiede von Land zu Land den Handel mit Dienstleistungen erschweren. Sie dienen zum Beispiel der Finanzstabilität, hohen Standards im Gesundheitswesen, oder der Energieeffizienz und Sicherheit im Bauwesen. Dass diese Regelwerke politisch sensibel sind ist wenig überraschend.

Beispiel Finanzsektor – die vier Rubriken des Handels mit Dienstleistungen   

Der Handel im Dienstleistungssektor wird in vier Rubriken eingeteilt. Diese Rubriken lassen sich am Beispiel Finanzdienstleistungen erläutern, welches gleichzeitig die Komplexität im Handel mit Dienstleistungen illustrieren. Finanzdienstleistungen können international gehandelt werden indem sie:

  1. direkt über Grenzen verkauft werden, zum Beispiel, wenn eine Bank in New York einem Vermögensverwalter in Tokyo eine große Summe Yen in Dollar umwechselt;
  2. im Ausland konsumiert werden, zum Beispiel, wenn ein afrikanischer Millionär in der Schweiz ein Bankkonto eröffnet oder auch ganz simpel, wenn ich nach Italien in den Urlaub fahre, mir dort ein Auto miete, und die Vermietung mir dazu eine Autoversicherung verkauft;
  3. durch direkte Investitionen vor Ort verkauft werden, zum Beispiel, wenn eine deutsche Versicherung Filialen in Asien eröffnet und dort direkt Versicherungen anbietet; und schließlich
  4. durch das Verreisen von Angestellten ins Ausland erbracht werden, zum Beispiel, wenn ein französischer Banker von Paris nach Johannesburg fliegt, um dort zwei Goldminen bei ihrer Fusion zu beraten.

Der Finanzsektor illustriert die besonderen Problemstellungen, die für Dienstleistungen bei Handelsabkommen entstehen. Die grundsätzliche Frage für Unterhändler ist, wie Kompatibilität zwischen den Regulierungswerken der beiden Märkte hergestellt werden kann, und inwieweit die beteiligten Regierungen interessiert und willig sind, ihre nationalen Regulierungen und Strukturen zu verändern, um mehr Handel zu ermöglichen. Stärkere Verhandlungspartner versuchen dabei oft ihre Marktmacht zu nutzen, um ihr eigenes Regelwerk als internationalen Standard durchzusetzen.

Um die Regeln des internationalen Handels im Finanzdienstleistungssektor nachhaltig zu beeinflussen, muss man das gesamte Regelwerk (also national und international) ins Auge fassen. Dazu kommt, dass der Finanzsektor aufgrund dessen Rolle als Nervensystem der Wirtschaft besonders ist: mehr als in anderen Bereichen ist Stabilität ein wichtiges Desideratum. Finanzminister und Zentralbankgouverneure geben Finanzstabilität aus gutem Grund Priorität über die Vereinfachung von internationalen Handelsströmen. Das internationale Regelwerk—nicht Handelsabkommen—bestimmt die internationale Finanzwelt.

In bisherigen Dienstleistungshandelsabkommen gilt daher, dass Finanzaufsichtsbehörden ungestört von Verpflichtungen in Handelsabkommen weiterhin alle Entscheidungen durchsetzen können, die Relevanz für die Finanzstabilität haben (der sogenannte „prudential carve-out“). Konkret heißt dies zum Beispiel, dass die deutsche Regierung im Krisenfall die Deutsche Bank durch einen Bailout vor dem Bankrott bewahren kann, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass eine Bank aus einem Land mit EU-Handelsabkommen, wie z.B. Kanada, die gleiche Behandlung (also eine Geldspritze des deutschen Steuerzahlers) einklagen kann. Diesen Spielraum zu beschützen ist nicht nur wichtig für die Wahrung der Finanzstabilität, sondern auch für die Handlungsfähigkeit der Politik im Finanzbereich im Allgemeinen.

In manchen Bereichen können Handelsabkommen wichtige Akzente setzen, in anderen weniger

Diese Vorbehalte haben dazu geführt, dass Länder bis jetzt keine weitreichenden Vereinbarungen in Handelsabkommen getroffen haben, die ihre Regelwerke maßgeblich angleichen, sondern sich stattdessen auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner einigen. Ein Beispiel: Marktöffnungen, die sowieso schon im Regelwerk festgelegt sind, wie der Verkauf von Schiffversicherungen über Grenzen hinweg. Regierungen halten so ihren eigenen Handlungsspielraum möglichst groß und beschützen ihre regulatorische Souveränität.

Maßgebliche Verhandlungen zu relevanten Regelwerken finden hauptsächlich außerhalb von Handelsabkommen statt. So zum Beispiel in der EU bei gemeinsamen Regulierungsvorhaben oder international in bilateralen Verträgen, welche die Regelwerke der anderen Seite als ähnlich effektiv anerkennen, wie z.B. die Verhandlungen zu einem pan-asiatischen Fondsprodukt,[7] welches gleichermaßen in Australien wie in Malaysia verkauft werden kann.

Handelsabkommen haben sich deswegen auf den Umgang mit direkten Dienstleistungsinvestitionen fokussiert, um sicherzustellen, dass in unserem vorherigen Beispiel die deutsche Versicherung mit Filialen in Asien im fairen Wettbewerb mit lokalen Anbietern steht. Vereinbarungen können zum Beispiel Mindeststandards der Transparenz der Aufsichtsbehörden oder internationale Datenströme garantieren. In Verhandlungen zwischen Industrieländern—zum Beispiel zwischen Kanada und der EU—ist der faire Wettbewerb im Finanzsektor jedoch bereits größtenteils im nationalen Regelwerk festgesetzt, sodass Handelsabkommen deswegen wenig ausschlaggebend sind.

Internationale Verhandlungen im Dienstleistungssektor bleiben kompliziert

Bei Verhandlungen zu Freihandelsabkommen im Dienstleistungsbereich geht es darum, sich auf einen gemeinsamen Nenner bei der Beziehung der Regelwerke der beiden Märkte zueinander zu einigen. Dabei wollen Staaten ungerne ihre eigenen Regeln oder Gesetze ändern, Vereinbarungen beschränken sich oft auf die Anerkennung schon existierender Marktöffnungen.

Für ambitioniertere Abkommen gibt es zwei Optionen: die Harmonisierung von Regelwerken, sprich das Ersetzen vorheriger nationaler Regulation durch neu verhandelte internationale Regeln; oder Marktzugang auf Basis der verschiedenen nationalen Standards, sprich gegenseitige Anerkennung der jeweils anderen Regelwerke auch im Inland. Beides erfordert komplizierte, politisch sensible Verhandlungen. Bei ersterem besteht die Gefahr, dass die neuen Regeln durch technologischen oder gesellschaftlichen Wandel überholt werden, wodurch schwierige Nachverhandlungen nötig werden können. Bei Letzterem besteht die Gefahr, dass das Regelwerk mit den höheren Standards untergraben wird, indem Firmen sich nach Abschluss des Abkommen die jeweils kostengünstigsten Regelwerke aussuchen.

Deswegen müssen internationale Beziehungen im Dienstleistungssektor dynamisch bleiben, damit ein fairer Wettbewerb auch bei großen Veränderungen in den Märkten sichergestellt werden kann. Das wiederum verlangt viel Vertrauen und konstanten Austausch, was in manchen Bereichen lieber außerhalb von großen und statischen Handelsabkommen verhandelt wird.

Die Zielsetzung von Verhandlungen im Dienstleistungsbereich muss also kritisch hinterfragt werden. Länder müssen sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Änderungen ihrer Regelwerke auseinandersetzen und entscheiden, ob und inwiefern sich die Veränderungen lohnen und gesellschaftlich wünschenswert sind. Strategische Überlegungen über die Zukunft der Regulierung in den einzelnen Sektoren sollten der Grundstein für Verhandlungen über Freihandelsabkommen sein—nicht umgekehrt.

Fortschritte und Erfolge in Verhandlungen von Dienstleistungs-Freihandelsabkommen können gelingen, wenn die Souveränität von Staaten in wichtigen Fragen beschützt bleibt und die Dynamik der Wirtschaftsbereiche und ihrer Regelwerke sich in den Abkommen widerspiegeln, sodass technologische Fortschritte und gesellschaftliche Veränderungen begleitet werden können. Nachhaltig ist das am besten in einer Struktur wie der EU zu erreichen, mit supranationaler Verwaltung der Regeln und demokratischer Legitimität.

Generell braucht es für den Erfolg von freiem Handel Widerstand gegen protektionistischen Nationalismus, sowie die effektive Einbindung von Handelsriesen wie China und Indien in die Verhandlungen globaler Regelwerke. Dies mag in manchen Sektoren eher möglich sein als in anderen; aber generell gilt: Leichter gesagt als getan.

 


[1] Miroudot, S, Sauvage, J, Shepherd, B, (2013) ‘Measuring the costs of of international trade in services,’ in World Trade Review, 12(4)

[2] https://www.imf.org/external/np/g20/pdf/2018/111918.pdf , p.21

[3] https://www.imf.org/external/np/g20/pdf/2018/111918.pdf , p.20

[4] https://www.imf.org/external/np/g20/pdf/2018/112818.pdf , p.20

[5] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A8-2016-0160+0+DOC+XML+V0//DE

[6] Nordas, H, Rouzet, D, (2016) ‘The Impact of Services Trade Restrictiveness on Trade Flows,’ in The World Economy, 40(6)

[7] http://fundspassport.apec.org/

Picture credit: Piqsels

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