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19. April 2018
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Philippa Sigl-Glöckner

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Ein Blick in das Innere des europäischen Finanzgetriebes

7 min Lesezeit

PHILIPPA SIGL-GLÖCKNER

Wissen, was wir nicht wissen

Wenige wirtschaftspolitische Maßnahmen sind in den letzten Jahren so kontrovers diskutiert worden wie die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Ziel der verschiedenen geldpolitischen Maßnahmen—wie etwa des QE-Programms und des niedrigen Leitzinses—war und ist es, Investitionen und Konsum in der Eurozone anzuregen, um so die Inflationsrate wieder in Richtung ihres Zielwerts von 2% zu bringen.

Das Wirken dieser Maßnahmen ist nicht eindeutig erkennbar: Die Bundesbank stellte in ihrem letzten Monatsbericht fest, dass die externe Finanzierung für nicht-finanzielle (sprich: realwirtschaftliche) Unternehmen weiterhin bei nur 50% des Vorkrisenniveaus liegt. Dies deutet nicht auf einen kreditfinanzierten Investmentboom hin, der sich eindeutig durch die Verbilligung des Gelds erklären ließe. Und auch auf ökonometrischen Modellen basierende Untersuchungen können bisher die Effekte der Anleihenkäufe nicht eindeutig erklären, weil ihre Resultate sehr stark von ihrem Aufbau und den zugrundeliegenden Annahmen abhängen. Unter dem Strich heißt das: Wir wissen immer noch relativ wenig über die konkrete Wirkungsweise der EZB-Geldpolitik der letzten Jahre.

Um hier Fortschritte zu machen, beschreibt dieser Artikel die Geschehnisse, die sich im Finanzsystem der Eurozone während der letzten Jahre abgespielt haben. Daraus lassen sich weder statistisch valide Schlüsse ziehen, noch ökonomische Gesetzmäßigkeiten erklären, aber es könnte helfen, ein Gespür dafür zu entwickeln, was bei verschiedenen geld- bzw. finanzpolitischen Maßnahmen, wie z.B. dem QE-Programm, passiert – und genau dazu soll dieser Beitrag dienen.

Kurz und knapp

Die wichtigsten Ergebnisse vorab: Schattenbanken sind stark gewachsen und haben in den letzten viereinhalb Jahren weit mehr Finanzierung erhalten als Unternehmen in der Realwirtschaft. Diese Gelder wurden zu recht ähnlichen Teilen in Anleihen, Unternehmensanteile und in die Anteile von Investment Fonds investiert. Auch Unternehmen in der Realwirtschaft tätigten 1,5-mal mehr Ankäufe von Unternehmensanteilen als Nettoinvestitionen (Investitionen abzüglich Abschreibungen) in die eigene Firma. Haushalte trugen zum Wachstum der Schattenbanken bei, indem sie insgesamt mehr als 500 € Milliarden in Investment Fonds investierten. Gleichzeitig haben sie Anleihen in fast gleichem Maße verkauft. Insgesamt ergibt sich ein Bild von sehr finanzlastigem Wachstum: Während Finanztransaktionen seit 2013 kumulativ um 8 € Billionen stiegen, wuchsen Nettoinvestitionen in die Realwirtschaft nur um 1 € Billion.

Genauer betrachtet

Die folgende Infografik beschreibt diese Transaktionen im Detail. Sie zeigt Abläufe im Finanzsystem der Eurozone und deren Verbindung zur Realwirtschaft zwischen 2013 und 2017 auf Basis von EZB-Daten (dabei handelt es sich um die Quarterly Sector Accounts der EZB und die Daten der EZB zu ihren Anleihenkäufen). Sichtbar sind Transaktionen zwischen den folgenden Akteuren: klassische Banken; Finanzunternehmen, die keine Banken sind (Non-Banks oder auch Schattenbanken genannt); „nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften“ (sprich: realwirtschaftliche Unternehmen); private Haushalte; Regierungen; und die EZB. Investitions- bzw. Finanzierungsquellen sind in Anleihen (Bonds), Unternehmensanteile (Equities), Kredite (Loans), und Investmentfondsanteile (IF Shares) aufgeteilt. Der der Animation zugrundeliegenden Code inklusive der Datenreihenspezifizierungen kann hier eingesehen werden. Fragen und Kommentare sind sehr willkommen.

(Eine ganzseitige Version der App ist hier zu sehen)

Die blauen Pfeile zeigen das vierteljährliche Netto-Anlagevolumen eines Investors in eine bestimmte Anlageklasse, z.B. den Ankauf von Unternehmensanteilen (Equities) durch Banken oder die Anleihenkäufe (Bonds) der EZB. Die grünen Pfeile zeigen wiederum, welche Akteure sich durch welche Anlageklassen finanziert haben (also z.B. Regierungen durch Kredite). Die Breite der Pfeile zeigt das Transaktionsvolumen an.

Somit lässt sich verfolgen, wie Transaktionen von Geldschöpfern (Zentralbanken und Banken) über die Finanzwirtschaft in die Realwirtschaft fließen (dieser Kreislauf ist nicht geschlossen, da die verwendeten EZB Daten keine Information über Investoren beziehungsweise Empfänger außerhalb der Eurozone geben).

Anhand der Animation kann man beispielsweise erkennen, dass Schattenbanken eine immer zentralere Rolle in unserem Finanzsystem einnehmen: Sie stehen im Zentrum der stark ansteigenden Transaktionsvolumina in den Finanzmärkten Anfang 2015, als die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen begann. Im Gegenteil dazu scheinen die Investitionen in realwirtschaftliche Güter durch Unternehmen, Haushalte und Regierungen mehr oder weniger unverändert:

2014, 4. Quartal:

2015, 1. Quartal:

Sieht man sich die einzelnen Akteure genauer an, haben Schattenbanken seit 2013 fast doppelt so viel externe Finanzierung entgegengenommen wie realwirtschaftliche Unternehmen (alle im Folgenden gezeigte Daten entsprechen den in der Animation verwendeten Datenreihen):

 

Ein Teil dessen stammt wohl von Haushalten, die ihre Gelder aus Anleihen (deren Ertrag durch die EZB Käufe weiter zurückging) in Investment Fonds umschichteten:

Schattenbanken investierten die ihnen zufließenden Gelder zu relativ ähnlichen Teilen in Anleihen, Unternehmensanteile und Investment Fonds:

Wirft man einen Blick auf die Realwirtschaft, haben auch nicht finanzielle Unternehmen stark in Finanzanlagen investiert:  der Ankauf an Unternehmensanteilen überstiegen den Wert der Nettosachinvestitionen für ihre eigenen Unternehmungen (also z.B. Maschinen).

Insgesamt bestätigt sich der Eindruck der Visualisierung: Die Transaktionsvolumina in Finanzströmen sind in den letzten Jahren sehr viel stärker gestiegen als Investitionen in reale Güter (durch Unternehmen, Regierungen oder Haushalte):Was lernen wir daraus?

Diese Visualisierung und Graphen sagen erstmal nichts darüber aus, wo unsere Ressourcen letztendlich landen. Es könnte zum Beispiel sein, dass Gelder im Finanzmarkt oft hin und hergereicht werden, bevor sie in die Realwirtschaft abfließen und dort Gehälter bezahlen oder Sachinvestitionen finanzieren. Nur steht dann die Frage im Raum, welcher Mehrwert dadurch entsteht, dass Gelder oft im Finanzmarkt hin- und hergereicht werden.

Des Weiteren spiegelt eine Visualisierung, wie die oben vorgestellte, immer die Gesamtheit der auf die Märkte einwirkenden Faktoren wieder. Sie kann daher keine Auskunft über die Auswirkungen eines einzelnen Mechanismus oder den Einfluss einzelner Geschehnisse, wie zum Beispiel der Anleihenkäufe der EZB, geben.

Auch sind die Ursachen der Beobachtungen in vielen Fällen nicht offensichtlich: so sieht man zum Beispiel einen starken Anstieg in der Kreditvergabe von Schattenbanken. Dies könnte den Eindruck erwecken, Schattenbanken würden Banken im Kreditgeschäft ersetzen. Laut EZB ist das jedoch darauf zurückzuführen, dass Unternehmen „Special Purpose Entities“ gründen, die Anleihen ausgeben und dann an ihre Muttergesellschaften Kredite vergeben. Diese Special Purpose Entities befinden sich normalerweise in einem anderen Land der Eurozone, um von günstigeren Standortbedingungen zu profitieren („favourable tax regime and financial technology“). Ein Land mit besonders geeigneten Bedingungen für diese Konstruktion scheinen die Niederlande zu sein: Ein Drittel der dort beheimateten Schattenbanken sind solche Special Purpose Entities, die Unternehmen gehören und als einzige Aufgabe das interne Verteilen von Geldern haben.

Luxemburg, Schattenbanken, und Unternehmensanteile

Neben Makrotrends springt noch etwas anderes ins Auge: Im dritten Quartal 2015 sowie schon Ende 2013 tätigten Nicht-Banken große Ankäufe von Unternehmensanteilen—sprich machten große Equity Investments. Gleichzeitig floss ein Großteil der so investierten Gelder zurück zu Nicht-Banken. Wieso dieser starke Anstieg an Investments von Nicht-Banken in Unternehmensanteile mit einem sehr ähnlich großen Rückfluss zurück zu Nicht-Banken einherging, ist uns nicht bekannt. Wir konnten keine Publikation der EZB oder Bundesbank finden, die dieses Phänomen erklärt. Hinweise oder Erklärungen werden sehr gerne in der Kommentarbox am Ende des Artikels entgegengenommen.

Auch interessant ist, dass es sich bei den Investments von Nicht-Banken in Unternehmensanteile nicht um breit gestreute Aktienkäufe handelt, wie z.B. Investitionen in Dax Unternehmen oder anderweitig öffentlich gehandelte Aktien; und dass diese Investment nicht von Fonds, Vermögensverwaltern, oder anderen Finanzdienstleistern aus der ganzen Eurozone kamen. Im Gegenteil, 2015 waren 60% aller Investitionen von Nicht-Banken in Unternehmensanteile auf den Kauf von „Unlisted Shares und Other Equity“, also nicht öffentlich gehandelten Unternehmensanteile, durch „Other Financial Intermediaries“, sprich Finanzfirmen, über die wir ansonsten wenig wissen, in Luxemburg zurückzuführen.  Ende 2013 machten diese Transaktionen unbestimmter Finanzfirmen in Luxemburg in ungelistete Unternehmensanteile in der Eurozone sogar 75% aller Ströme von Nicht-Banken in allen Formen von Unternehmensanteilen aus.

2013, 1. Quartal:

 

Selbst wenn eine solche Grafik keine direkten Rückschlüsse auf Kausalzusammenhänge zulässt kann sie helfen Forschungsfragen zu definieren: Wieso zum Beispiel katapultierten die Anleihenkäufe der EZB Schattenbanken in das Zentrum der Finanzmärkte? Welche Auswirkungen hat das auf die Realwirtschaft, für die Schattenbanken laut EZB schon heute eine sehr wichtige Finanzierungsquelle sind? Auf diese Fragen gibt es zurzeit keine abschließenden Antworten. Abgesehen von ersten, auf Stichproben beruhenden Vermutungen, wissen wir nicht was Schattenbanken groß gemacht hat und was dies für die Realwirtschaft bedeutet. Und dass, obwohl Schattenbanken heute insgesamt ein größeres Anlagevolumen als Banken in der Eurozone haben (32 vs. 24 Billionen).

Gerade in einer Zeit, in der sich die Struktur unseres Finanzsystems verschiebt und wir uns auf Expedition in finanz- und geldpolitisches Neuland begeben, können Visualisierungen als rudimentäre Landkarten der ökonomischen Forschungsreise dienen.

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