Image
21. June 2020
 / 

Florian Kern

 / 
 / 
Archive

Stark in den Kulturkampf: die geldpolitische Debatte hat einen anderen Ton verdient

8 min Lesezeit

FLORIAN KERN

Die Welt veröffentlichte am 20. Juni einen Brandbrief dreier deutscher Ökonomen gegen die Politik und die Leitlinien der Europäischen Zentralbank. Doch dieser Brandbrief ist eher Symptom eines für unsere Zeit typischen Kulturkampfes als eine an offenem Diskurs interessierte Kritik. Unsere öffentliche Debatte hat einen anderen Ton verdient.

Jürgen Stark, Thomas Mayer und Gunther Schnabl werfen der EZB in aggressivem Ton „unverhohlene Industriepolitik“ und „verbotene Staatsfinanzierung“ vor. Für eine unabhängige Zentralbank gibt es keinen schlimmeren Vorwurf, als den ihr gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen zu verlassen und willkürlich zu agieren. Wie kommen die Autoren zu diesem Schluss?

Stark & Co bauen einen Vergleich auf zwischen der EZB heute und einem Idealtyp der Bundesbank der 90er Jahre.[1] Der letztere ist dabei der Maßstab alles Hehren und Guten. Im Vergleich sei die heutige EZB auf Irrwegen unterwegs. Spätestens seit die früher von Stark hoch beschworene monetäre- oder Geldmengenanalyse kaum mehr in Politikempfehlungen einfließt, würde die EZB „direkt in die nationalen Wirtschaftspolitiken“ eingreifen.

Geldmengenanalyse resurrexit?

Wenn das Mandat der Zentralbank aber Preisstabilität lautet, warum soll die Geldmenge dann überhaupt für die Inflationssteuerung relevant sein? Der theoretische Hintergrund ist die sogenannten Quantitätsgleichung des Geldes. Nach ihr entspricht die preisgewichtete (Y) Wirtschaftsleistung (P) dem Produkt aus Geldmenge (M) und der sogenannten Umlaufgeschwindigkeit (V) – ausgeschrieben: Y * P=M * V.

Die Quantitätsgleichung des Geldes ist dabei kein Ergebnis empirischer Wissenschaft, sondern ist per Definition immer richtig. Wenn also die Geldmenge (M) steigt, dann muss entweder Y oder P steigen oder V sinken. Alte Lehrbücher erklären häufig, dass bei der Annahme eines konstanten V (sic!) die Preise P steigen müssen, wenn die Geldmenge M steigt, siehe z. B. hier.

Surprise: V ist aber nicht konstant. Das V in der Gleichung ist eine Art Zaubervariable, die sich immer so anpasst, dass die Identität gilt: Aber V ist eben an sich nicht beobachtbar. Und so wurde die Quantitätsgleichung über die Jahre in der Volkswirtschaftslehre immer weniger relevant, während empirisch besser zu beobachtende Zusammenhänge mehr Beobachtung erfuhren. Charles Goodhart fragte zum Beispiel schon 2007 „was passierte mit der Geldmengenanalyse?“ und stellte fest, dass kaum eine Zentralbank der Welt sie noch nutzt. Spätestens wenn die Inflationssteuerung eine andere Geldpolitik verlangt als die monetäre Analyse, spricht sehr viel dafür, dass die Zentralbank die monetäre Analyse zunächst ignoriert: Sie muss die Geldpolitik wählen, die im Hinblick auf die Erreichung ihres Mandats am vielversprechendsten ist.

Im Jahr 2020 gibt es weltweit keine Zentralbank mehr, die der monetären Analyse Gewicht zuschlägt: Alleine das lässt die These von Stark & Co fragwürdig erscheinen, dass die Abkehr von der Geldmengenanalyse Zeichen einer Politisierung oder gar Mandatsverletzung der EZB wäre. Die Autoren stehen damit allein auf weiter Flur.

Cui bono?

Wieso diese theoretische Abenteuerfahrt, um das Relikt der Geldmengenanalyse aus dem Grab zu holen? Jürgen Stark war einer ihrer größten Befürworter nachdem sein Vorgänger als Chefvolkswirt der EZB Otmar Issing sie in den 90er Jahren bei der Gründung der Zentralbank als gleichberechtigten Pfeiler der Geldpolitik durchsetze.[2]

Die 90er Jahre waren war eine Zeit, in der Zentralbanker über wesentlich weniger Daten und noch viel geringere Rechenkapazität verfügten. Es war eine Zeit, in der Geldpolitk als „Kunst“ und nicht als „Wissenschaft“ verstanden wurde.

Bis in die 90er Jahre dachten Zentralbanker, es sei wichtig, dass sie möglichst konservativ erscheinen müssen um mit strenger Miene die zu immer höherer Verschuldung neigenden Parlamentarier zu tadeln (eine fundamentale Kritik an der geldpolitischen Theorie dieser Zeit findet sich z. B. bei Bibow). Gleich doppelt verlangen Stark & Co in ihrem Aufsatz, man müsse Geldpolitik wieder als „Kunst“ und weniger als Wissenschaft verstehen.[3] Während die Geldpolitik der letzten Jahre möglichst transparent und auf wissenschaftlichen Grundlagen entscheiden wollte um antizipierbar zu sein, scheinen die Autoren in der Welt wieder zu einer Welt zurück zu wollen, in der das Vertrauen auf konservative und integre Zentralbanker ausreichen sollte, um die Inflationserwartungen auf der Höhe des Inflationsziels zu verankern.[4] Es geht Stark & Co also um einen Kulturkampf um die Hegemonie in der geldpolitischen Debatte und darum, wie ein „guter“ Notenbanker aufzutreten und zu handeln hat: Der ideale Notenbanker der 90er war ein autoritär auftretender, streng dreinblickender Mann, der noch im Schlaf darüber nachdachte, wo er die nächste Inflationsgefahr noch im Keim ersticken könnte. Im Jahr 2020 laufen Nerds teilweise kaugummikauend in Jeans durch die heiligen Hallen der Zentralbank und entwerfen Modelle zur Inflationssteuerung, die die Wirkung geldpolitischer Ankaufprogramme belegen (z. B. hier und hier).

Dieser Kulturkampf zeigt sich nicht nur in der Geldpolitik, sondern es gibt ihn überall. Im Fußball wurde Ralf Rangnick in den 90ern noch als Fußballprofessor belächelt: Heute nutzt jedes Bundesligateam wissenschaftliche Methoden und Datenanalyse. Die CEOs der mächtigsten Unternehmen saßen in den 90ern in Anzug und Krawatte vor riesigen Holzschreibtischen—heute tragen sie insbesondere in den USA Rollkragenpullover, Hoodies und T-Shirts.

Nun sind Kulturkämpfe um die Hegemonie in Machtpositionen nicht ungewöhnlich und überaus menschlich—aber wer so vehement wie Stark & Co darauf pocht, man müsse doch jetzt mal aufhören mit der Datenanalyse und wieder zurück in die 90er, der muss sich auch vorhalten lassen, hier Partikularinteressen zu vertreten. Wer den Text von Stark & Co liest, der merkt sofort, in welcher Stimmungslage er verfasst wurde: Der Text versprüht die Empörung von Männern, die viel für Deutschland geleistet haben und die sich nun abgewertet fühlen, weil sich die Welt verändert hat; er ist kein Debattenbeitrag für zivilisierte Kamingespräche über optimale Politikempfehlungen bei einem Glas Rotwein, sondern eine wütende Kampfansage voller Vorwürfe, die den Handelnden in der EZB unlautere Motive unterstellt.

Dieser Weg darf nicht weiter verfolgt werden. Jeder Beziehungsratgeber erklärt, dass wir bei Konflikten auf keinen Fall anderen unlautere Motive vorwerfen sollten, wenn wir die Beziehung retten wollen—und die große Mehrheit der Deutschen möchte gerne eine gute Beziehung zur Europäischen Union und zur Europäischen Zentralbank. Wenn die Meinung der Anderen nicht mehr als legitim gilt, bleibt nur noch der Bruch mit dem Status Quo und das Ende der Beziehung: Stark & Co’s Forderung nach einer Neufassung des Grundgesetzes als angebliche rechtliche Notwendigkeit für eine Fortführung bereits bestehender Politikmaßnahmen ist letztlich nichts als die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der Währungsunion. Allen Beteiligten ist daher zu raten, wieder zu zivilisierten Formen des Diskurses zurückzukehren: Dazu gehört, sich mindestens vorstellen zu können, dass man durch gute Argumente überzeugt werden könnte.

Stark, Meyer und Schnabl sind kluge Ökonomen, deren Energie und Erfahrung im Interesse Deutschlands und Europa besser eingesetzt werden können als für einen aussichtslosen Kulturkampf gegen empirische Geldpolitik. Denn eines haben Geldpolitik, Unternehmensführung und Fußballmanagement gemeinsam: Wer sie evidenzbasiert betreibt und stetig seine Datenanalyse verbessert, erzielt die besseren Ergebnisse. Genau wie ein Blick über den Atlantik hilft um zu sehen, dass die frühzeitigen Einschränkungen während der Pandemie in Deutschland uns vor Todeszahlen wie in New York bewahrt haben, so ist ein Blick über den Atlanktik auch in geld- und wirtschaftspolitischen Fragen sinnvoll. So hat Fed-Präsident Powell den US-Kongress kürzlich nicht etwa vor einer angeblichem Zombifizierung der Wirtschaft durch niedrige Zinsen gewarnt, sondern vor den negativen Effekten für den Wohlstand der Menschen in den USA, der durch unnötige Insolvenzen bei vorschnellen Zinserhöhungen ausgelöst würde.

Auch hier gilt: Wenn alle Zentralbanken weltweit mit niedrigen Zinsen und Ankaufprogrammen operieren, dann ist es schlicht unlauter zu behaupten, die EZB würde dies nicht aus geldpolitischen Motiven tun, sondern um Staaten zu finanzieren.

Kritik ist wichtig und Politik nicht alternativlos. Aber wer wie Stark & Co das Vertrauen in die moralische Integrität seiner Diskurspartner verloren hat, darf kein Ratgeber für die weitere Zusammenarbeit in Europa sein.


[1] Insbesondere, so die Autoren, galt für die Geldpolitik der Bundesbank der 90er Jahre die monetäre Analyse—also der Blick auf verschiedene Geldmengengrößen—formell noch als gleichberechtigt zur Inflationsanalyse. Ob sie das auch tatsächlich überhaupt war, wird wissenschaftlich debattiert. Federal Reserve Vize-Präsident Clarida meint nein, Bundesbank-Volkswirte meinen ja.

[2] Unabhängig von der Frage, ob die monetäre Analyse wieder mehr Bedeutung erfahren sollte, erscheint Jürgen Stark in dieser Frage ähnlich unabhängig wie ein Essay von Margarete Thatcher zum Thema „Privatisierungen Pro & Contra“ oder von Joe Exotic zum Thema „optimales Umfeld für Wildkatzen“.

[3] Dabei ignorieren die Autoren, dass gerade das Verständnis der Geldpolitik als Wissenschaft zentral für die Frage ist, ob die Zentralbank unabhängig sein sollte—wäre Geldpolitik keine Wissenschaft, dann spräche wenig dafür, sie durch nicht demokratisch legitimierte Technokraten bestimmen zu lassen.

[4] Auf die Frage hin, auf welche Indikatoren er denn besonders achten würde in der Frage, ob sie die Zinsen anpassen möchte, antworte der damalige Fed-Präsident Greenspan 1995 vor dem Senate Banking Committee leicht ironisch: „If I say something which you understand fully in this regard, I probably made a mistake.“ Zentralbanken heute versuchen indes, ihre Entscheidungsgrundlagen so transparent wie nur möglich zu machen und halten dies als Grundvoraussetzung für die Unabhängigkeit der Geldpolitik: Wer ohne demokratische Kontrolle agiert, der muss mindestens seine Entscheidungen ausführlich erklären und alle Einflussfaktoren offenlegen, die zu seiner Entscheidung führten.

Picture credit: Kiefer

Hat dir der Artikel gefallen?

Show some love mit einer Spende
oder folge uns auf Twitter

Teile unsere Inhalte

Ähnliche Artikel aus unserem Archiv