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22. Juli 2021
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Max Krahé

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Geldbrief

Ist das wirklich grün? Investitionen und ihre Nachhaltigkeit

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Max Krahé

Dieser Dezernatsbrief stellt die Frage, wie nachhaltige von nicht-nachhaltigen Investitionen unterschieden werden können. Die Antwort: es ist schwierig. Am vielversprechendsten ist ein systemischer Ansatz, der für fünf zentrale Wirtschaftssysteme Transformationsflugbahnen vorzeichnet, an denen die Nachhaltigkeit einzelner Investitionen anschließend festgemacht werden kann.

Wie kann man nachhaltige von nicht-nachhaltigen Investitionen unterscheiden? Diese Frage müssen sich alle stellen, ob öffentliche oder private Akteure, die mit ihren Investitionsentscheidungen die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft voranbringen wollen. Doch auch die, die dies nicht vorhaben, täten gut, eine Antwort auf die Frage zu haben: Alle Investitionsentscheidungen, die heute gefällt werden, wirken unweigerlich auf den Wandel der Wirtschaft ein und begünstigen oder verlangsamen damit die dringend notwendige Transformation. Doch obwohl es bereits heute jede Menge als nachhaltig beworbene Finanzprodukte gibt, ist diese Thematik nur unzureichend geklärt: Niemand weiß genau, welche Investitionen transformationsbefördernd (und damit nachhaltig) sind, und welche nicht.

Eine allgemein akzeptierte theoretische Definition von Nachhaltigkeit gibt es seit dem Brundtland-Bericht von 1987: Nachhaltigkeit bedeutet grundsätzlich, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu befriedigen, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.

Diese Definition ist schlüssig, doch was bedeutet sie in der Praxis? Ansätze wie die Sustainable Development Goals oder Kate Raworths Doughnut Economics übersetzen das Brundtland-Prinzip in konkrete Kennziffern, an denen die Nachhaltigkeit einzelner Länder oder Regionen wie der EU gemessen werden kann. Das ist hilfreich, gerade für die Politik.

Was diese Ansätze jedoch nicht beantworten, ist die Frage, welche Investitionen nachhaltig (oder nicht) sind. Denn ihre Indikatorik konzentriert sich auf gesamtgesellschaftliche Größenordnungen: nationale CO2-Emissionen, gesellschaftsweite Gesundheits- oder Bildungsstatistiken, landesweite Artenvielfalt. Dies ist gut, da sich Nachhaltigkeit auf der Makro-Ebene entscheidet, letztendlich auf der planetarischen. Doch für nachhaltige Investitionen ist eine Klassifizierung auf der Mikroebene notwendig: Es müssen die einzelnen Projekte und Anlagemöglichkeiten identifiziert werden, die die gesamtgesellschaftlichen Statistiken in die richtige Richtung bewegen. Diese müssen von jenen unterschieden werden, die sie in die falsche Richtung bewegen würden.[1]

Wie kann dies gelingen? Ein erster Ansatz, die isolierte Analyse einzelner Projekte, erweist sich als Sackgasse. Ist die Tesla „Gigafabrik“, die zurzeit südlich von Berlin gebaut wird, nachhaltig oder nicht? Solange man dieses Projekt isoliert betrachtet, kann man die Frage nicht abschließend beantworten. Denn die Nachhaltigkeit dieser Investition hängt nicht nur von den Lieferketten ab, von denen die Fabrik ihre Teile bezieht, sondern zum Beispiel auch von den Energieträgern, aus denen die dort produzierten Autos in Zukunft ihren Strom beziehen, und damit dem Ausbau der erneuerbaren Energien; von längerfristigen Homeoffice-Quoten, von städtebaulichen Entscheidungen und von der Entwicklung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, die alle beeinflussen, ob der individuelle Autoverkehr als Massenprodukt eine Zukunft hat; und vom Batterie-, Gummi- und Stahl- bzw. Aluminiumrecycling, welche die Nachwirkungen am Endes des Produktzyklus bestimmen.

Kurz gesagt: Nur in Betrachtung des Gesamtsystems lässt sich bestimmen, ob eine bestimmte Investition nachhaltig ist oder eine Verschwendung von Energie, Zeit (insbesondere die Arbeitszeit von Fachkräften), Land, Rohstoffen oder anderen Ressourcen darstellt. Der Vergleich einer einzelnen Investition mit einem kontextlosen Kriterienkatalog, wie es oft bei als nachhaltig beworbenen Finanzprodukten geschieht, ist daher ein Irrweg, der in der neueren Forschung bereits als solcher erkannt ist.

Ein zweiter Ansatz besteht darin, nicht einzelne Projekte isoliert zu betrachten, sondern die Beurteilung ihrer Nachhaltigkeit dem Marktmechanismus zu überlassen. Dafür müssten Treibhausgasemissionen und andere externe Effekte präzise gemessen und anschließend bepreist werden, zum Beispiel durch eine CO2-Abgabe oder einen Emissionshandel. Diese Preisänderungen würden sich in der Preisstruktur insgesamt niederschlagen; genau die Projekte, die dann noch profitabel sind, wären als nachhaltig identifiziert.

Dieser Ansatz wird unter Ökonominnen und anderen Wissenschaftlern intensiv diskutiert. Er hat Vorteile und Nachteile: So wirkt er zum Beispiel über indirekte Effekte bis in die Kapillaren der Wirtschaft und unterstützt nachhaltigere Produkte, Dienstleistungen oder Produktionsmethoden, die sonst relativ gesehen zu teuer wären. Gleichzeitig ist die Bepreisung mancher externen Effekte, wie zum Beispiel dem Verlust von Artenvielfalt, schwierig bis unmöglich und die sozialen Auswirkungen einer Bepreisung können die Akzeptanz der Nachhaltigkeitswende untergraben. In der Summe kann dieser Ansatz – wenn er andere Instrumente ergänzt und nicht ersetzt – den Wandel der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit unterstützen; doch als alleinige Methode, um nachhaltige Investitionen zu identifizieren, erweist sich auch dieser Ansatz als unzureichend. Warum?

Das grundlegende Problem liegt in der Diskrepanz zwischen der Art des Problems und der Mechanik des Lösungsansatzes. Insbesondere die Bewältigung der Klimakrise, aber auch die anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit, erfordern die Umstellung von mindestens fünf grundlegenden Versorgungssystemen in unseren Volkswirtschaften: Energie, Verkehr, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft. Der Preismechanismus ist gut darin, die Produktion von Konsumgütern und kleineren Produkten wie Schuhe, Lippenstifte, oder Büromaterial schnell umzustellen. Auch die allmähliche Weiterentwicklung komplexerer Produkte kann so gelingen. Doch derselbe Mechanismus ist überfordert, wenn es um die rasche Umstellung grundlegender und intensiv miteinander verflochtener Systeme mit Lock-In-Effekten, Skaleneffekten und natürlichen Monopolstrukturen geht.

Ein Beispiel verdeutlicht diesen Punkt. Es gab in der Geschichte immer wieder hochentwickelte Marktwirtschaften, schon lange vor der industriellen Revolution. Viele – zum Beispiel China während der späten Song-Dynastie – verfügten über die Technologien, die für eine industrielle Revolution hinreichend gewesen wären. Aber nur einmal, im Großbritannien des 18. und 19. Jahrhunderts, fand die revolutionäre Umstellung der Energieversorgung auf Kohle, des Transportwesens auf die Eisenbahn und der Industrie auf Dampfkraft durch die dezentrale Koordination von Investitionen durch den Marktmechanismus statt. Dieser einen „erfolgreiche Zündung“ steht eine Vielzahl an erfolglosen Versuchen gegenüber.

Diese Chancen sind nicht gut genug für uns, für heute. Die Nachhaltigkeitswende muss gelingen, und zwar schnell. Um die dafür notwendigen Investitionen zu identifizieren ist Marktkoordination, gerade in einem Umfeld, das auf fossile Energieträger zugeschnitten ist, nicht das richtige Instrument. Der allmähliche Wandel, den dieser Mechanismus gut koordiniert, ist zu langsam. Ein rapider Wandel, in dem zukünftige Preise und Wettbewerbsstrukturen unvorhersehbar werden, lässt den Mechanismus ins Leere greifen bzw. führt zu Fehlfunktionen.

Was ist die Alternative? Anstatt darauf zu warten, dass der Markt spricht, könnte ein Planungsgremium – dessen Zusammensetzung und politische Rechenschaftspflichten sorgfältig zu bedenken wären – indikative Pläne für jedes der fünf Systeme formulieren. Diese Pläne würden Entwicklungspfade mit Bleistift vorzeichnen,[2] die mit den planetarischen Grenzen (und den Plänen für die je anderen vier Systeme) vereinbar sind. Anschließend könnten diese in Kriterien auf der Projekt- oder Investitionseben übersetzt werden, die dann sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Sektor als Leitfaden dienen könnten.

Die EU-Taxonomie bildet diese Strategie in Knospenform ab. Die Taxonomie selbst ist eine Liste von Kriterien, die einzelne wirtschaftliche Aktivitäten, z. B. Stromerzeugung oder der Bau von Gebäuden, erfüllen müssen, um als nachhaltig zu gelten. Bislang ist die Taxonomie weder vollständig noch ehrgeizig genug und auch noch nicht hinreichend mit expliziten sektoralen Plänen zusammen gedacht. Dennoch könnte sie mittelfristig dazu dienen, um sektorale Entwicklungspfade in praktikable Kriterien auf der Investitionsebene zu übersetzen. Auch beim gezielten Zurückführen von besonders schädlichen Aktivitäten könnte sie nützlich sein (siehe Fußnote 1).

Doch selbst in seiner besten Ausführung wird auch dieser Ansatz fehlerbehaftet bleiben. Auch eine Taxonomie, die auf sektoralen Planungen aufbaut, wird unweigerlich bestimmte Investitionen fälschlich als (nicht) nachhaltig identifizieren, sowohl wegen unserem stets unvollkommenen Wissen als auch weil die Zukunft inhärent ungewiss ist. Aber eine perfekte Methode gibt es nicht. Was tatsächlich nachhaltig ist, wird sich letztendlich erst in der Praxis herausstellen.

Entscheidend ist, welche Identifikationsmethode möglichst schnelles Lernen ermöglicht. So gesehen besteht die größte Gefahr heute darin, zu wenig bzw. die falschen Risiken einzugehen. Die Frage ist also, welche Art von Identifikationssystem am besten dabei hilft, bewusst die richtigen Risiken in Angriff zu nehmen und möglichst schnell aus ihnen zu lernen. Weder ein reiner Marktansatz noch die isolierte Analyse einzelner Projekte scheint hierbei vielversprechend. Hybridansätze, insbesondere der der Indikativplanung, könnten als Leitplanken und Leuchttürme dabei helfen, die Nachhaltigkeitstransformation in den benötigten Gang zu bringen.


Fußnoten

[1] Die Klimaliteratur ist inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass es nicht ausreicht, zu definieren und zu fördern, was grün ist. Zusätzlich ist es notwendig, besonders schädliche Aktivitäten zu identifizieren und kontrolliert zurückzuführen, insbesondere um sogenannte „Lock-In Effekte“ zu überwinden. Einen Überblick über die relevante Literatur geben Rosenbloom und Rinscheid 2020.

[2] Mit Bleistift, da dieser Ansatz vor allem der Identifikation von Projekten als nachhaltig oder nicht dient; die Umsetzung der einzelnen Projekte müsste anschließend mit separaten Instrumenten, z.B. CO2-Bepreisung oder Finanzmarktregulierung, profitabel gemacht werden (so sie es noch nicht sind) oder von der öffentlichen Hand durchgeführt oder subventioniert werden.

Der Dezernatsbrief ist ein zweiwöchentlicher Kommentar zu aktuellen Fragen der deutschen und europäischen Ökonomie. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an info[at]dezernatzukunft.org


Veranstaltungen:

  • Wir freuen uns, nächste Woche Otto Fricke MdB, haushaltspolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion, zu unserer Sonderserie „Reden wir über Geld“ begrüßen zu dürfen. Am 28.7., 20:30 bis 21:30 Uhr, wird Philippa mit ihm über das Wahlprogramm der FDP und die kommende Bundestagswahl reden. Anmeldung hier.
  • Am 29.7. wird ihm Antje Tillman MdB, finanzpolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, in der gleichen Serie folgen. Pola wird mit ihr über die finanzpolitischen Ideen der CDU/CSU zur Bundestagswahl sprechen. Anmeldung hier.
  • Am 5.8. findet dann unser letzter Stammtisch vor der Sommerpause statt: Prof. Dr. Laura Rischbieter (Universität Konstanz) und Dr. Stefanie Middendorf (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam), co-Organisatorinnen des „Doing Debt“ DFG-Netzwerkes, werden sich mit Max darüber unterhalten, wie staatliches Schuldenmachen im 20. Jahrhundert in der Praxis aussah. Anmeldung hier.

Veröffentlichungen und Medien:

  • Gestern erschien die englische Übersetzung unseres Papiers „Eine neue deutsche Finanzpolitik“. Eine Zusammenfassung findet Ihr hier auf Deutsch, hier auf Englisch.
  • In der Juli-Ausgabe des Wirtschaftsdienst haben Max und Philippa an einem Zeitgespräch zum Thema „Wirtschaftspolitische Perspektiven für eine neue Bundesregierung“ teilgenommen. Ihr Beitrag fragt, wie zukunftsfähigen Finanzpolitik heute zu definieren ist.
  • Letzen Montag hat Max einen Gastbeitrag in der Financial Times veröffentlicht. Der Artikel argumentiert, dass Indikativplanung notwendig ist, um nachhaltige von nicht-nachhaltigen Investitionen zu unterscheiden.
  • Beim WDR 5 Wirtschaftsmagazin „Profit“ wurde Max letzten Dienstag zum Thema EZB und Klimaschutz interviewt: Überstreckt die Zentralbank mit ihrer neuen Klima-Strategie ihr Mandat? Die Aufzeichnung gibt es hier.
  • Apropos Radio: Mathis, unser ehemaliger Geschäftsführer, und Max wurden für den Podcast der Hertie-Stiftung interviewt. Thema war ihr Essay „Vorwärts, aber nicht gen Peking“, mit dem sie letztes Jahr den 2. Platz im Hertie-Stiftung Essaypreis gewannen.

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