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20. September 2018
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Tobias Arbogast

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Archiv

Wer sind die Gläubiger des Staates?

5 min Lesezeit
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TOBIAS ARBOGAST, MAX KRAHÉ

Geld kann Macht bedeuten.

Aufgrund von akribischer historischer Forschung wissen wir, dass die öffentlichen Schulden von Florenz im Jahre 1427 in den Händen einer selektiven Gläubiger-Oligarchie waren: 2% der Bevölkerung besaßen 60% der öffentlichen Anleihen. Während Florenz eine Republik war, war diese Republik—aufgrund ihrer Abhängigkeit von einigen wenigen Bankiersfamilien, darunter die Medicis—eine Oligarchie.[1]

Wie ist das Verhältnis zwischen Gläubigern und Staat heute beschaffen? Gilt, wie im Florenz der Renaissance, dass wer zahlt, bestimmt? Oder hat sich der Einfluss von Gläubigern auf den Staat, zum Beispiel durch das Erstarken der Norm der Volkssouveränität oder durch einen weit verstreuten Besitz von Staatsschulden, verringert? Falls ja, wie weit? Um eine erste Annäherung an diese Fragen zu ermöglichen, müssten wir wissen, wer genau die Gläubiger des Staates eigentlich sind.

Daten gibt es, doch teils geheim, teils verstreut

Lange Zeit konnten Daten darüber, wer die Gläubiger des Staates sind, nur durch mühsame historische Forschungsarbeit gesammelt werden. Aufgrund von Verschlussfristen und der weiten Zerstreuung der relevanten Banken-, Familien-, und Staatsarchive waren diese Daten außerdem oft unvollständig und um Jahre veraltet.

Erst in jüngster Geschichte haben internationale Organisationen, Ministerien und Zentralbanken begonnen, statistische Daten zusammenzustellen zu der Besitzstruktur der öffentlichen Anleihen.[2] Doch sind diese Daten meist nach Sektor aggregiert. Das heißt, außer groben Eckdaten—welche Anteile werden im In- und Ausland gehalten, und was das Inland betrifft, wie viel halten jeweils die Zentralbank, der restliche Bankensektor und große Finanzinstitutionen—wird kaum etwas veröffentlicht. Lediglich die Europäische Bankenaufsicht gibt Einsicht darüber, wie viele Staatsanleihen die großen Banken im Euroraum in ihren Büchern halten.

Alleine sind diese Daten jedoch nicht aussagefähig: intermediäre Finanzinstitutionen wie Banken oder Vermögensverwalter bündeln und investieren oft das Geld von Groß- und Kleinanlegern, so dass unter Umständen größere Unterschiede zwischen den Haltern und den letztendlichen Eigentümern oder Begünstigten von öffentlichen Schulden existieren.

Genauere Daten zu den Eigentümern von spezifischen Wertpapieren scheint mittlerweile auch die  EZB zu erheben. Jene werden jedoch wegen ihrer Vertraulichkeit geheim gehalten. So bleibt der Steuerzahler im Dunkeln darüber, wohin genau die Steuergelder, die für den Schuldendienst notwendig sind, hinfließen, und was für Machtverhältnisse durch den Besitz von Staatsanleihen zustande kommen.

Es wäre ein Anfang—doch der Weg ist lang

Hätten wir genaue Informationen darüber, wer die Gläubiger des Staates sind, wem der Staat Zinsen und Tilgung zahlt, könnten wir die oben gestellten Fragen besser angehen als heute. Doch wäre dies der Anfang, nicht das Ende der Forschung zu diesen Fragen. Denn: aus Besitz- sind Machtverhältnisse nicht direkt abzulesen. Die Kausalitätsketten zwischen Gläubigern und politischen Entscheidungsträgern sind mitunter lang, nicht klar abgrenzbar und laufen oft im Verborgenen. Die Gründe aufgrund derer Politiker Entscheidungen treffen sind normalerweise nicht endgültig und zweifelsfrei ermittelbar, weder ex ante noch ex post. Die Gläubigerstruktur eines Landes zu kennen hilft dabei, diese Fragen zu beantworten—insbesondere gibt sie klare Anhaltspunkte dafür, wo die Forschung sich im nächsten Schritt hinwenden sollte—doch kann sie alleine keine finalen Antworten liefern.

Staatsschulden sind auch eine Verteilungsfrage

Ein zweiter Grund, die Halter von Staatsschulden genauer zu bestimmen, ist, dass man ohne dieses Wissen nicht feststellen kann, welche Verteilungspolitik der Staat in seiner Gesamtheit verfolgt. So könnte es zum Beispiel sein, dass die Verteilungseffekte der Steuer- und Ausgabensysteme maßgeblich konterkariert werden durch die Verteilungseffekte der Zinszahlungen auf Staatsschulden. Die Bundesregierung gibt zurzeit circa 20 Milliarden Euro für Zinsen auf die Bundesschuld aus, was sechs Prozent des Gesamthaushaltes entspricht. Welcher Gruppe dieser Betrag zufließt, kann maßgeblich die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland beeinflussen.

Auch die Verteilungsfrage ist schwer zu beantworten ohne genaue Daten zum Besitz von Staatsanleihen; doch auch hier gilt, dass die Sammlung dieser Daten ein Anfang, und nicht das Ende der Forschung wäre. Denn um die Verteilungseffekte von Staatsschulden und ihrer Rückzahlung zu ermitteln, müssen zum Beispiel den Zinseinnahmen der Gläubiger die Steuern gegenübergestellt werden, die diese bezahlen. Ebenso gilt es, systemische Effekte mit einzubeziehen: falls die vermehrte Aufnahme von Staatsschulden das allgemeine Zinsniveau anhebt, könnte es zum Beispiel sein, dass sie die Einnahmen aller Zinsbezieher anhebt. Gleichzeitig würde das Einkommen aller Schuldner gedrückt, und so ein Verteilungseffekt ausgelöst, der weit über die direkten Besitzer von Staatsschulden hinausreicht. Eine abschließende Summierung dieser teils konträr wirkenden Verteilungseffekte ist äußerst schwierig. Doch nur wenn Besitzdaten vorliegen können erste Fortschritte gemacht werden.

Summa Summarum: die Gläubiger des Staates, ein wichtiges Forschungsgebiet

Zusammengefasst: stand heute, mangels öffentlich zugänglicher Daten sowie der methodologischen Schwierigkeiten in diesem Forschungsbereich, lassen sich weder die Verteilungs- noch die Machtfrage zu Staatsschulden beantworten. Um hier erste Fortschritte zu machen, ist es essentiell zu erforschen, wer die Gläubiger des Staates sind. Obwohl diese Daten, für sich alleine genommen, keine abschließenden Antworten zulassen, sind sie von entscheidender Bedeutung für die weitere Forschung in diesen Bereichen. Sie zu sammeln sollte eine hohe Priorität für Verwaltung und Wissenschaft sein.


Image credit: Museo del Prato

[1] Roos, Jerome (2016, p. 102) Why Not Default? The Structural Power of Finance in Sovereign Debt Crises, European University Institute, PhD thesis.

[2] Die bis jetzt einzige wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema in der jüngeren Geschichte, jedoch nur die USA analysierend, ist Sandy Hager‘s Public Debt, Ownership and Power. Seine Arbeit legt nahe, dass in den letzten Jahrzehnten die Konzentration des US Staatsanleihenbesitz wieder stark zugenommen hat, hin zu großen Firmen und den obersten 1% an Einkommensbeziehern, während progressive Steuern und Transferzahlungen wenig gegengewirkt haben.

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