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26. November 2021
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Philippa Sigl-Glöckner

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Geldbrief

Erste Einordnung des Koalitionsvertrag: fünf Themen aus Dezernatsperspektive

7 min Lesezeit
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Philippa Sigl-Glöckner, Max Krahé

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben uns den knapp 180 Seiten starken Koalitionsvertrag vorgenommen. Ein erster Eindruck zu den fünf Themen, die den stärksten Bezug zur Arbeit des Dezernats haben: Verwaltung, Klima, Arbeit, Finanzen und Europa.

1. Verwaltungsmodernisierung

Der Vertrag beginnt mit einer Reihe Vorhaben zur Verwaltungsmodernisierung: Von Personalmanagement in Behörden, über Digitalisierung der Verwaltung, Stärkung der Abwehrmechanismen gegen Lobbyarbeit und Bestechung, transparenteren Gesetzgebungsverfahren und Registermodernisierung bis hin zu einer Halbierung der Zeit von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Für einen Staat, der sich nicht mit arbiträren Finanzregeln die Hände zusammenbindet, sondern aktiv für nachhaltigen Wohlstand in einer dekarbonisierten Welt Sorge tragen will, sind all das essenzielle Vorhaben. Nur so werden Staat und Regierung den eigenen Ansprüchen nachkommen können.

2. Klimaschutz

Finanziert werden sollen Klimaschutzmaßnahmen auch in Zukunft aus dem Energie- und Klimafonds (EKF). Dieser wird allerdings in Zukunft unter dem Namen Klima- und Transformationsfond (KTF) laufen. Zur Finanzierungsseite später mehr, nur so viel vorab: durch schlaue Buchhaltung wird er in Zukunft ein (teils) schuldenbremsenbefreites Leben führen.

Auf der Ausgabenseite geht es um viel Geld: Allein die Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Haushalt ab 2023 kostet laut Ökoinstitut bis 2025 über 40 Mrd. Euro. Das entspricht gut 10% eines vollen Bundeshaushalts (aus einem nicht-Corona Jahr).

Der CO2 Preis bleibt angesichts der hohen Energiepreise wo er war, auch wenn das nach Ansicht der Expertinnen nicht ausreicht, um die Klimaziele zu erreichen. Eine Anhebung des CO2 Preises hätte allerdings auch die Einführung eines sozialen Ausgleichsmechanismus erfordert.

Ein solches Klimageld ist erst für die Zukunft geplant, vermutlich auch, weil dessen sofortige Einführung zusammen mit der Übernahme der EEG-Umlage in den Haushalt größere Löcher in das Bundessäckel gefressen hätte.

Für die Zeit, in der der CO2-Ausstoß noch zu günstig ist, um emissionsfreie Technologien profitabel zu machen, sollen Unternehmen sogenannte Carbon Contracts for Difference abschließen können, die sie entsprechend kompensieren.

3. Arbeit

Eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen soll sowohl den Fachkräftemangel bekämpfen, als auch die gesetzliche Rente stabilisieren. Dies soll geschehen, ohne dass das Renteneintrittsalter angetastet wird. Dass dies durchaus möglich scheint, liegt unter anderem daran, dass von allen Renteneintritten heute ca. 51,5% vor 65 stattfinden. Dazu gibt es einen ganzen Blumenstrauß von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Wie der Sachverständigenrat zeigt, ist das ein wichtiges Unterfangen:

Auch sollen in Zukunft alle Auszubildenden in Pflege und Erziehungsberufen eine Ausbildungsvergütung erhalten. Sicher sehr verdient für heutige Pflegekräfte, aber wenig zielführend für die zukünftige Gewinnung von Pflegekräften, ist ein einmaliger Pflegebonus mit einem Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro.

Mit der Anhebung des Mindestlohns von 9,60 auf 12 Euro dürfte sehr vielen Menschen geholfen sein: Über 20% aller Erwerbstätigen verdienen heute weniger als die 11,05 Euro, die die offizielle Niedriglohnschwelle darstellen. Ein Wermutstropfen aus fiskal-, bzw. arbeitsmarktpolitischer Sicht: Anstatt die Anhebung des Mindestlohns zu nutzen, um sozial nicht abgesicherte und oft wenig produktive Minijobs langsam von der Bildfläche verschwinden zu lassen, wird die Verdienstgrenze auf 520 Euro pro Monat angehoben.

4. Finanzpolitik

Doch nun zur eigentlichen Königsdisziplin, der Schuldenbremsengymnastik. Wie erwartet will die neue Bundesregierung für das Jahr 2022 noch einmal eine Notsituation erklären und so Kredite tanken. Wie groß dieser Schluck aus der Pulle werden soll bleibt offen. Der bisherige Haushaltsentwurf sieht 99 Mrd. Euro an Nettokreditaufnahme vor. Aus 2021 dürften aber noch weitere Kredite überbleiben: in unserer Schätzung knapp 70 Mrd. Euro. Mit diesen Krediten wird man nun den ehemaligen EKF/zukünftigen KTF befüllen, um auch über 2022 hinaus Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft zu finanzieren.

Dies erfordert eine Umstellung der Bilanzierungsmethoden: Würde man bei der heutigen Rechenmethodik des Finanzministeriums bleiben, würde ein Auffüllen dieses Fonds in 2022 keine Mehrausgaben in 2023-25 ermöglichen. Der Saldo des Klimafonds würde auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Gibt er also mehr aus als er einnimmt (zum Beispiel aus gebunkerten Krediten) würde das wie zuvor unter die Schuldenbremse fallen.

In Zukunft plant man das anders zu handhaben: Die Ausgaben aus dem Klimafonds sollen von der Schuldenbremse ausgenommen, die Zuführungen zum Klimafonds dafür eingerechnet werdenEs ändert sich damit nicht die angerechnete Summe, nur der Zeitpunkt der Anrechnung. Die Sprache im Koalitionsvertrag ist hier mindestens irreführend. So heißt es:  

Die Berücksichtigung der Sondervermögen in der Schuldenregel erfolgt künftig 1:1 in dem verfassungsrechtlich erforderlichen Umfang. Als Ausgaben im Rahmen der Schuldenregel werden dann die Zuführungen des Bundes erfasst, nicht mehr doppelt auch die Mittelabflüsse aus den Sondervermögen.  

So könnte man zu dem Schluss kommen, dass früher mehr angerechnet wurde, wie auch wir ursprünglich annahmen und in der ersten Version dieses Newsletters schrieben. Dies ist jedoch nicht der FallFür uns illustriert die Komplexität vor allem zwei Punkte: Erstens, Fiskalregeln verschieben Macht hin zu jenen, die Herrschaftswissen über die schwer nachvollziehbaren Regeln besitzen, bzw. deren Auslegung mindestens zum Teil selbst definieren. Zweitens, solche Regeln schaden der Demokratie. Die Anzahl der Wählerinnen und Wähler, die versteht, was hier genau geändert wurde und wie das in Kombination mit Notlage Krediten zu einem größeren Spielraum führt dürfte sehr begrenzt sein.  

Zusätzlich — und wir wollen nicht verschweigen, dass uns das besonders freut — hat die Konjunkturkomponente Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden:

Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag der Schuldenbremse werden wir das Konjunkturbereinigungsverfahren basierend auf den in den letzten 10 Jahren gewonnenen Erkenntnissen, zum Beispiel durch systemische Krisen, evaluieren und die sich daraus ergebenden Bedarfe entsprechend anpassen, ohne die grundgesetzliche Schuldenbremse zu ändern.“ (Zeile 5441)

Die Konjunkturkomponente bestimmt die Höhe des maximal zulässigen Defizits unter der Schuldenbremse. Unserer Ansicht nach erfüllt sie ihren Zweck heute nicht mehr und ist darüber hinaus auch aus demokratischer, bzw. juristischer Perspektive problematisch. Ihre Ausgestaltung lässt sich glücklicherweise einfachgesetzlich oder sogar auf Verordnungsebene angehen, sodass der Text des Koalitionsvertrags eine tatsächliche Chance auf Verbesserung bietet. Wir behalten dies im Auge.

Ebenfalls zu begrüßen: Die neue Bundesregierung plant, einen neuen Versuch zu starten die Kommunen von Altschulden zu entlasten. Genauso bemerkenswert „bekennt sich [der Bund] zu seiner Unterstützung kommunaler Investitionstätigkeit“ (Zeile 5549). Da unklar bleibt, in welchen konkreten Handlungen sich dieses Bekenntnis niederschlagen soll, können wir hier nur auf ein Damaskuserlebnis schließen, dessen praktische Konsequenzen sich erst in Zukunft offenbaren werden. Für alle Kommunalinvestitionsbekenner, die noch auf der Suche nach Konkretem sind, haben wir einen Handlungsvorschlag bereit.

5. Europa

So gar nicht dem plumpen Klischee folgen will der Abschnitt zu den europäischen Fiskalregeln, in dem explizit die Möglichkeit zur „Weiterentwicklung“ erwähnt wird. Damit ist der Startschuss gefallen für Vorschläge, die den genannten Kriterien entsprechen.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat seine Flexibilität bewiesen. Auf seiner Grundlage wollen wir Wachstum sicherstellen, die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen. Die Weiterentwicklung der fiskalpolitischen Regeln sollte sich an diesen Zielen orientieren, um ihre Effektivität angesichts der Herausforderungen der Zeit zu stärken. Der SWP sollte einfacher und transparenter werden, auch um seine Durchsetzung zu stärken.“

Der Absatz scheint den Koalitionären (wie auch uns) so gut zu gefallen, dass sie ihn gleich zweimal bringen (Zeile 4469 und Zeile 5682). Kurz nach seinem ersten Auftritt folgt ein bemerkenswerter Absatz:

Preisstabilität ist elementar für den Wohlstand Europas. Die Sorgen der Menschen angesichts einer steigenden Inflation nehmen wir sehr ernst. Die EZB kann ihr Mandat, das vor allem dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist, dann am besten ausüben, wenn die Haushaltspolitik in der EU und in den Mitgliedsstaaten ihrer Verantwortung nachkommt.“ (Zeile 4491)

Das kann nun heißen, dass die Mitgliedsstaaten sich darum kümmern sollen, dass ihre Verschuldungskosten auch bei steigenden Zinsen überschaubar bleiben, sie also ihre Verschuldung abbauen. Es kann aber auch heißen, dass die EZB erst dann wieder in der Lage ist, ihrem Mandat nachzukommen, wenn die Geldpolitik nicht mehr an der effektiven Lower Bound festklebt (weitere Zinssenkungen also keinen antreibenden Effekt mehr auf die Wirtschaft haben) — was wiederum erst möglich wäre, wenn die Fiskalpolitik expansiver ausgerichtet ist und damit ihren Beitrag dazu leistet, dass die Wirtschaft voll ausgelastet wird. Lang lebe die Zweideutigkeit!

Für mehr zu Rückepferden (Zeile 1229), OLAF in einem ganz neuen Licht (4488) und weiteren Bekenntnissen (passim) empfehlen wir die vollständige Lektüre des Opus Magnums und hoffen, dass wir nicht die Einzigen sind, die die Dichte an Fachbegriffen eine kleine Herausforderung finden.

Ein schönes Wochenende und konzentrierte Lektüre wünschen

Philippa, Max und das ganze DZ Team


Der Dezernats- und der Geldbrief sind unsere Newsletter zu aktuellen ökonomischen Fragen in Deutschland und Europa. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns und erbitten deren Zusendung an philippa.sigl-gloeckner[at]dezernatzukunft.org


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