Image
3. Februar 2019
 / 

Philippa Sigl-Glöckner

 / 
 / 
Archiv

10 Fragen an Adam Tooze zu globalen Währungen, selbstfesselnden Wirtschaftssystemen und den beachtenswerten Aspekten der Trump Administration

11 min Lesezeit

PHILIPPA SIGL-GLÖCKNER

Adam Tooze (Website, Twitter: @adam_tooze) ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Columbia Universität in New York, Leiter des European Institute und Autor von Crashed.

1. Was halten Sie von Junckers Vorschlag den Euro zu stärken?

Worum es hier geht, ist die Mehrdeutigkeit des Begriffs eines ‚starken‘ Euros. Das kann alles Mögliche heißen. Eine funktionierende Währung ist eine Dimension. Die Eurozone hat ja gewissermaßen das absolute Minimum entdeckt: Man feiert eine Währung, die im Umlauf bleibt und seinen Wert behält. Die Frage, ob der europäische Währungsverbund einen Rahmen für Wirtschaftswachstum bietet, wird verdrängt.

Die andere Dimension ist der Wert des Euros gegenüber dem US Dollar und die damit verbundene Frage, in wie weit der Euro als Reservewährung dienen kann, bzw. soll. Das kann nicht vorausgesetzt werden. Eher scheint es, dass der europäische Währungsverbund nach wie vor der deutschen Strategie verpflichtet ist, die Entwicklung der deutschen Währung hin zu einer Reservewährung zu verhindern. Ursprünglich eine Idee von Helmut Schmidt übrigens. Es wäre für die deutsche Exportwirtschaft fatal gewesen, wenn die Deutsche Mark zu einer richtigen Reservewährung geworden und damit ständig überbewertet gewesen wäre. Die Überbewertung ergibt sich aus der internationalen Nachfrage nach sicheren, in der Reservewährung denominierten, Anlagen. Es ist ungeheuer schwierig eine florierende Exportwirtschaft mit einer Reservewährung zu kombinieren. In der Schweiz geht das nur durch ganz bewusste Währungsmanipulation.

2. Wird der Euro den US Dollar verdrängen?

Anfang des Jahrhunderts war es ein ganz zentrales Thema, ob der US Dollar Bestand haben wird oder ob ihn der Euro ersetzen wird. Mittlerweile nimmt niemand den Euro als Rivalen zum US Dollar ernst.

Was aber sehr interessant ist, ist die Debatte um die Fiskalpolitik in Amerika. Wie kann es sein, dass es Amerika möglich ist, solche Defizite zu unterhalten? Irgendwann muss doch einmal Schluss sein mit dem exorbitant privilege (der Möglichkeit Amerikas als Hegemonialmacht Schulden in seiner eigenen Währung weltweit aufzunehmen). Wann ist das und was passiert dann? Die Republikaner können dazu überhaupt nichts sagen, sie haben sich selbst radikal entlarvt. Keiner kann sie mehr als konservative Fiskalpolitiker ernst nehmen. Die Demokraten sind hin- und hergerissen. Vielleicht wünschten sie, sie hätten selbst den Mut gehabt viel größere Defizite zu fahren. Die Frage ist, welche Freiräume entstehen, wenn man prozyklische Fiskalpolitik macht (in Mitten eines wirtschaftlichen Aufschwungs die Wirtschaft durch staatliches Schuldenmachen weiter antreibt) und damit das untere Ende des Arbeitsmarkts austrocknet. Die Arbeitslosenrate bei Schwarzen ist so niedrig wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen (siehe unten). Leider geschieht dies in Amerika unter Trump gerade auf Basis einer unausgeglichenen steuerlichen Entlastung der oberen Einkommen.

Daten: US Bureau of Labour Statistics

 

3. Woher kommt der nächste Schock?

Das Twin Deficit [Leistungsbilanzdefizit und Haushaltsdefizit, Anm. d. Red.] Amerikas wird seit einigen Jahren nicht mehr durch Zukäufe amerikanischer Staatsanleihen aus Schwellenländern finanziert. Ebenso haben Europäer aufgehört im großen Maßstab US Treasuries zu kaufen. Heute werden US Treasuries tatsächlich vor allem von Amerikanern gekauft. Es ist nicht einfach abzusehen, wer die nächsten Käufer amerikanischer Anleihen sind. Wenn da noch ein Schock dazu kommt, ist das eine sehr labile Situation. Darüber machen sich Leute wie Brad Setser Gedanken.

Außerdem muss man natürlich nach China schauen. Dort versucht Beijing mit allen Mitteln ein ‚Soft Landing‘ hinzubekommen. Das ist für die Weltwirtschaft eigentlich die zentrale Frage.

4. Halten Sie die schwarze Null für sinnvoll?

Kurz: Nein. Wo stellt man sich eigentlich vor, dass die deutschen Ruheständler ihre Pension investieren, wenn Deutschland konsequent die schwarze Null fährt, wenn der deutsche Staat keine Anleihen vergibt?

Außerdem muss man die Auswirkungen auf die Zinsen bedenken. Gibt es kein Angebot an deutschen Staatsanleihen, dann steigt der Preis und die Rendite fällt. Dann darf man sich nicht beschweren, wenn es für Sparer keine Renditen gibt. Wenn der Staat einen Überschuss fährt, ist das die Konsequenz. Man hat Glück, wenn dadurch nur die Zinsen fallen und keine Rezession ausgelöst wird.

Im Endeffekt wird deutschen Anlegern eine hoch riskante Anlagenpolitik aufgezwungen, man treibt sie geradezu in Auslandsanlagen. Und das geschieht in einem Währungsverbund, innerhalb dessen man sich weigert strukturelle Reformen zu unterstützen, die das System absichern würden. Die einzige Quelle einigermaßen sicherer Anleihen weltweit ist Amerika. Um auf die Frage zur Unabhängigkeit des US Dollars zurückzukommen: Man könnte damit anfangen, für die Eurozone sichere Anleihen auszugeben.

Was in der deutschen, fiskalpolitischen Diskussion fehlt ist der Sinn für Zusammenhänge. Die Schulden des Staates stehen auf der Guthabenseite des Privatsektors. Wenn der Privatsektor und der Staatsektor gleichzeitig Schulden abbauen und Forderungen aufstocken, kann das nur durch Forderungen gegenüber dem Ausland, über die Zahlungsbilanz geschehen. Aber auf globaler Ebene schließt sich der Kreis wieder. Wenn Staat und Privatsektor insgesamt versuchen zu sparen, führt das zur Depression.

5. In der Eurozone haben wir aber doch gelernt, dass einfach Geld ausgeben nicht so unproblematisch ist?

Hier kommt das Spezielle an der Eurozonenkonstruktion: Es gibt im Notfall keine Zentralbank, die die Rechnung zahlen kann. Es ist daher keine reine Ideologie, wenn man sagt, dass Schulden in Europa gefährlich sind. Die Eurozone ist ein institutionelles Konstrukt, das diese Zwangslage bewusst steigert.

Es ist genial: Man bindet sich beide Hände hinter dem Rücken zusammen und sagt ‚,wenn ich jetzt springe, werde ich ertrinken“.

Daraus schließt man dann: ‚Die Gefahr des Ertrinkens ist riesig‘. Gleichzeitig kann Amerika Schulden machen wie es möchte. Wo sind die Bond Vigilantes [Investoren, die aus Protest gegen die Fiskalpolitik Bonds verkaufen und damit deren Yield unter Druck setzen, Anm. d. Red.]? Und was ist mit Japan, das Schulden in Höhe von 253% des BIPs hat? Die Schulden zirkulieren im Inland und werden von der Bank of Japan gestützt [Die Bank of Japan hält japanische Staatsanleihen in Höhe von 100% des BIPs, Anm. d. Red.]. Wie Olivier Blanchard neulich festgestellt hat, ist es an der Zeit die gesamte Frage der Staatsschulden zu überdenken.

6. Man kann die deutsche Antwort auf die Griechenlandkrise hinterfragen. Glauben Sie, mehr Mitbestimmung der Bevölkerung hätte geholfen?

Es wäre vereinfacht das Problem im Umgang mit Griechenland in Deutschland als Demokratiedefizit zu beschreiben. Man sollte von der Volksstimme unter heutigen Umständen nicht zu viel erwarten. Um das zu erkennen, muss man sich nur die Bild Zeitung ansehen. Die öffentliche Meinung ist sehr ideologisch getränkt, in einer solchen Situation Wirtschaftspolitik demokratisch zu betreiben, ist nicht notwendigerweise ein Erfolgsrezept. Wenn eine grundsätzliche Veränderung in den Medien und der öffentlichen Diskussion kurzfristig nicht möglich ist, muss man sich nach der zweitbesten Lösung umsehen.

Unter solchen Umständen kann es sein, dass die zweitbeste Lösung ein technokratisches Vorgehen unter der Hand ist. Man stabilisiert die Lage und ermöglicht dadurch eine Entpolitisierung der verfahrenen Lage. Solange die EZB Bonds kauft, gibt es keine Krise. Man kauft Zeit und hat währenddessen die Möglichkeit strukturelle Probleme im Hintergrund zu lösen. Dies entspricht bestimmt nicht dem demokratischen Ideal. Aber man muss sich manchmal taktisch den gegebenen politischen und medialen Umständen anpassen.

7. Erwarten Sie eine weitere Krise in der Eurozone?

Momentan herrscht eine trügerische Ruhe in der Eurozone, weil die EZB durch ihre Kaufaktion den Markt stabilisiert hat. Die durch QE gegebene Stabilität [solange die EZB die Staatsschulden eines Landes aufkauft, besteht keine Gefahr, dass das Land sich nicht mehr refinanzieren kann, Anm. d. Red.] verhinderte schon zur Zeit der Griechenlandkrise 2015 eine Ansteckung anderer potenziell gefährdeter Länder wie Italien oder Portugal. Varoufakis hatte daher nie eine Chance, Europa zu erpressen. Die EZB hat mit ihrem QE Programm jegliche Krisentendenz ausgeschaltet. Mit dem Auslaufen des EZB Programms [die EZB hat seit Januar 2019 aufgehört, ihre Anleihenbestände aufzustocken, ersetzt aber weiter auslaufende Papier in ihrem Portfolio, Anm. d. Red.] werden wir in Zukunft sehen, ob sich diese Frage von Neuem stellt. Der Krisenauslöser könnte Italien werden. Das hängt aber von der Politik in Rom, in Brüssel und den anderen Mitgliedsstaaten ab.

8. Was sagen Sie zum Sorgenkind Italien?

Das Problem ist Folgendes: Es gibt zwei Welten: In der einen scheint alles machbar. Man geht davon aus, dass die Refinanzierung der Schulden Italiens kein Problem ist. Dann sind die Zinsen niedrig, bei ca. 3%. Oder aber man sagt das Gegenteil, die Schulden Italiens sind bei schwachem Wirtschaftswachstum längerfristig nicht tragbar. Dann müssen Anleger das Risiko miteinkalkulieren und die Zinsen sollten nicht bei 3%, sondern bei 7-8% liegen. Das macht die Schulden erst recht untragbar. Das Problem im italienischen Fall sind nicht die laufenden Defizite. Italien hat einen Primärüberschuss. Das Problem sind die ausstehenden, in den 80er und 90er Jahren aufgehäuften Schulden, die 132% des BIP ausmachen.

Daten: Instituto Nazionale di Statistica

 

Außer den Staatsschulden muss man in Italien auch mit der Schwäche der Banken rechnen. Auch hier gibt es wieder eine technokratische Lösung. Notfalls macht man hinten herum TLTROs [Targeted Long Term Refinancing Operations, d.h. Banken, die einen großen Prozentsatz an Krediten an Unternehmen ausgeben, bekommen verbilligten Zugang zu Zentralbankgeld], am besten solange keiner von TLTROs gehört hat. So kann man im Notfall Zeit kaufen und schummelt sich über die Bankbilanzen durch.

Die Frage ist vor allem politisch: Welche Kosten sind italienische Politiker bereit zu tragen? Die Frage ist, was sich aus diesem politischen Zerreibungsprozess ergibt: Im Zweifel scheint es, gewinnt die rechte Seite. Das jedenfalls ist das bisherige Ergebnis der Auseinandersetzung mit Brüssel. Die Kompromisse kamen auf Kosten der 5 Sterne Bewegung, während die Lega für ihr mittelständisches Publikum im Norden Steuersenkungen liefert.

9. Es ist sicher problematisch, dass die amerikanische Handelspolitik so unberechenbar ist, aber geht sie nicht auch manche Probleme an?

Ich bin mir nicht sicher, dass die Prämisse richtig ist. Ein bisschen Unberechenbarkeit ist gar keine so schlechte Sache. Die ordnungspolitische Vorstellung, dass Wirtschaft unbedingt Berechenbarkeit braucht, halte ich für Schönfärberei. Das war nicht die Erfahrung 2008. Was gefragt war, waren eindrucksvolle und massive Eingriffe, die zum Teil sehr willkürlich waren. Das ist ja gerade das Interessante an der Trump Administration: Dass sie zeigt, wie effektiv Unberechenbarkeit sein kann.

Ich wäre sehr dafür, mit einer progressiven Unberechenbarkeit zu arbeiten. Bestimmten Leuten muss manchmal Angst gemacht werden. Das perfekte Beispiel ist die Bankenregulierung: Wenn die wissen, dass du kommst, ist das Spiel sowieso schon verloren. Es muss so sein, dass sie nicht wissen, dass du kommst und ob sie im Gefängnis landen. Gerade das hat die Obama Administration nicht gemacht, Europa ebenso wenig (nur Island).

Aber um auf den Handel zurückzukommen: Es gibt wirklich massive Probleme. Was ich als Historiker an der Trump Administration immer wieder frappierend finde: Wie Trump die Radikalität der heutigen Situation tatsächlich zur Sprache bringt, nur eben nicht in einer besonders klugen Weise.

In der Stahlindustrie sind wir mit aberwitzigen Tatsachen konfrontiert: Die Chinesen haben die globale Kapazität der Schwerindustrie in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Das ist in dieser Form nie vorher so dagewesen. All das findet unter einem Regime statt, das nicht unseren Werten entspricht. Es ist eine Herausforderung historischer Größenordnung. Die Trump Administration geht mit dieser Herausforderung sehr plump um. Ihr Protektionismus ist ein stumpfes Messer. Aber zumindest muss man ihr zu Gute halten, dass sie die Plattitüden der Globalisierungspolitik der 90er Jahre in Frage stellt.

10. Wie sehen Sie das Verhalten Deutschlands im Kontext der Globalisierung?

Deutschland neigt dazu Globalisierung als etwas Gegebenes zu betrachten. Das Gegenstück in der Globalisierungsdiskussion zur fatalen Haushaltsanalogie in der Fiskalpolitik ist die deutsche Idee der Hausaufgaben. Es gibt einen Lehrmeister der Globalisierung, der Hausaufgaben verteilt. Wenn Länder ihre Hausaufgaben machen, sind sie wettbewerbsfähig. Wenn nicht, müssen sie nachsitzen. Man stellt sich die Herausforderung als gegeben vor. Man gestaltet den Rahmen nicht mit. Und die Erfolge, die man erzielt, gemessen am Exportüberschuss, sind Zeugnis einer überragenden Eigenleistung.

Was diese Wettbewerbsfähigkeit ausmacht, wo die deutschen Überschüsse aufgenommen werden, warum der Import vergleichsweise niedrig ist; das alles verschwindet aus dem Blick. Die Globalisierung selbst wird als exogener Prozess betrachtet, den weder Deutschland noch Europa wesentlich mitgestalten. Das systemische Ganze verschwindet aus dem Blick und Handlungsspielräume werden verbaut.

Das ist die Frage, die man auch aus anderen Kontexten kennt: Warum gibt es kein Bedürfnis gestalterisch mitzubestimmen? Gut, Deutschland will keine Übermacht für sich beanspruchen. Aber man nimmt es der Bundesrepublik nicht mehr ab. Der Rest der Welt ist klug genug zu erkennen, dass Deutschland doch Macht hat. Man fragt sich warum der Mut zur Verantwortung fehlt. Man fragt sich warum die Bundesrepublik nicht bereit ist aktiver und auch, falls nötig, mit Risiko an der Entwicklung der europäischen politischen und wirtschaftlichen Ordnung mitzuarbeiten. Dafür braucht es Geldmittel, aber das sind nicht nur Kosten. Das ist eine Investition.

Image credit: Adam Tooze.

Hat dir der Artikel gefallen?

Show some love mit einer Spende
oder folge uns auf Twitter

Teile unsere Inhalte

Ähnliche Artikel aus unserem Archiv