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17. Mai 2023
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Felix Heilmann

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Geldbrief

Importreserve statt Exportflut: LNG zwischen Energiesicherheit und Klimaschutz

Lesedauer: 9 min

Felix Heilmann, Janek Steitz

In den letzten Monaten haben wir uns gemeinsam mit Agora Energiewende und im Austausch mit Expert:innen aus dem gesamten Spektrum der Debatte mit der Frage beschäftigt, inwiefern die aktuell diskutierten Maßnahmen zum Ausbau der Versorgung mit Flüssigerdgas (LNG) das Erreichen der Klimaziele gefährden können und welche Pfade es gibt, um sowohl die notwendige Gasversorgung sicherzustellen als auch die Klimaziele zu erreichen.

Unser neues und heute veröffentlichtes Hintergrundpapier fasst die wichtigsten Erkenntnisse in drei Abschnitten zusammen: LNG-Produktion, Verträge und Nachfrage/Importe. Wir stellen fest, dass die Entwicklung neuer LNG-Exportterminals das größte Risiko für die Verfehlung der Klimaziele birgt – und zudem weder die akuten Knappheiten in den globalen Gasmärkten adressieren kann, noch finanziell sinnvoll ist. Im Gegensatz dazu können europäische Importterminals als Reservekapazitäten für Krisenzeiten dienen. Voraussetzung dafür ist aber, dass ihre Nutzung in Nicht-Krisenzeiten effektiv eingeschränkt wird.

Warum haben wir das Papier geschrieben?

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Sicherung der Gasversorgung Deutschlands und Europas zu einem zentralen politischen und wirtschaftlichen Thema gemacht. Im Herbst 2022 haben wir uns erstmals ausführlich mit dem Thema beschäftigt und in einem Geldbrief gefragt: Wie kann es gelingen, stabile Erdgaslieferungen zu sichern? Braucht es langfristige Verträge für Flüssigerdgas (LNG)-Lieferungen, auch wenn sie auf den ersten Blick den Klimazielen zuwiderlaufen?

Wir haben damals viele Rückmeldungen zu unserem Geldbrief bekommen und er war Grundlage für zahlreiche weitere Diskussionen. Es wurde deutlich, dass wir ein schwieriges Thema aufgegriffen hatten, das weiterer Auseinandersetzung bedurfte. Auch gesamtgesellschaftlich ist die Diskussion um Gasversorgung und LNG-Infrastruktur nach wie vor kontrovers, gleichzeitig wirkt die Debatte oft polarisiert, es gibt wenig Grautöne oder inhaltliche Brücken zwischen den verschiedenen Lagern.

Daher haben wir uns entschieden, dem Thema noch tiefer auf den Grund zu gehen – schließlich stehen mit der Energiesicherheit und der Erreichung der Klimaziele zwei für die Zukunft Deutschlands und Europas absolut entscheidende Themen auf dem Spiel.

Um herauszufinden, wo genau die Debatte steht und ob es weniger diskutierte Argumente, Fakten und Ideen gibt, die die verschiedenen Akteure zusammenbringen könnten, haben wir dafür im Februar Stakeholder aus dem gesamten Spektrum der Debatte zu einem virtuellen Workshop nach Chatham House Regeln eingeladen. Gemeinsam haben wir diskutiert: Welche LNG-Entscheidungen führen zu den größten Klimarisiken und warum? Wie können LNG-Strategien aussehen, die die gleichermaßen wichtigen Ziele Energiesicherheit und Klimaschutz erreichen?

Mit Vertreter:innen aus Industrie, Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und Forschungsinstituten haben wir diese Fragen offen und konstruktiv beleuchtet. Aus dem Austausch ergaben sich viele neue Perspektiven und Nuancen, die wir in den folgenden Wochen in bilateralen Gesprächen weiter vertiefen konnten.

Am Ende stand eine ganze Reihe von Erkenntnissen, die in der aktuellen LNG-Debatte wenig Beachtung finden, aber für das Erreichen von Energiesicherheit und Klimaschutz von großer Bedeutung sein können. Gemeinsam mit Agora Energiewende haben wir uns daher entschlossen, diese Erkenntnisse in Form von zehn Thesen aufzuschreiben und zu veröffentlichen, um so eine Grundlage für neue Nuancen und Differenzierungen in der LNG-Debatte zu schaffen. Diese zehn Thesen finden sich in unserem heute veröffentlichten Hintergrundpapier[1], die zentralen Implikationen, auch für den morgen beginnenden G7-Gipfel in Hiroshima, haben wir in einem Meinungsbeitrag für ZEIT Online zusammengefasst.

Was haben wir gelernt?

Das vielleicht wichtigste Ergebnis unserer Arbeit: während in Deutschland vor allem über Import­-Terminals gesprochen wird, birgt der Bau von Export-Terminals für LNG, etwa in den USA oder Katar, das mit Abstand größte Risiko, zusätzliche Emissionen zu zementieren. Denn: Exportterminals sind das mit Abstand teuerste Element in der LNG-Lieferkette. Einmal gebaut, haben die Betreiber ein starkes Interesse daran, sie zu nutzen. So entsteht ein höheres LNG-Angebot, welches die Preise sinken und die Nachfrage steigen lässt. Das Ergebnis ist ein global höherer Gasverbrauch und zusätzliche Emissionen.

Abbildung 1

In Deutschland stehen dagegen vor allem die Terminals zum Import von LNG im Zentrum der Debatte. Die Klimabewegung und Anwohner, beispielsweise auf Rügen, fürchten, dass die Pläne der Bundesregierung hierfür zu höheren Emissionen führen und mit den Klimazielen unvereinbar seien. Die Ampel-Koalition hingegen sieht keinen Widerspruch mit den Klimazielen und argumentiert, dass die Terminals zur Sicherung der Gasversorgung unverzichtbar seien, gerade auch als Versicherung gegen einen unerwarteten Ausfall von, zum Beispiel, norwegischen Gaslieferungen.

Und tatsächlich: ein Terminal, das in normalen Zeiten ungenutzt bliebe und nur als Reserve für mögliche Notfälle vorgehalten würde, hat in der Tat keine direkten Auswirkungen auf Gasverbrauch und somit Emissionen. Als Reserve sind LNG-Terminals zwar ohne Weiteres nicht wirtschaftlich. Die ungedeckten Kosten könnten und sollten als sicherheitspolitische Ausgabe vom Bund getragen werden.

Problematisch im Hinblick aufs Klima ist jedoch, dass die Vorhaltung der Kapazitäten als Reserve bislang kaum regulatorisch verankert ist. Gemäß der aktuellen LNG-Verordnung dürfen Terminalbetreiber in Deutschland 90 Prozent ihrer Importkapazitäten langfristig vermarkten, und hiervon 80 Prozent für mehr als 15 Jahre. Das heißt: es steht Terminalbetreibern und Gasimporteuren frei, diese über lange Zeiträume auch in Nicht-Krisenzeiten nahezu vollständig auszulasten – und im Zweifel nicht in Deutschland benötigtes Gas global weiterzuverkaufen. Das steht im krassen Gegensatz zur Planung der Bundesregierung, dass zum Jahr 2030 über 75 Prozent der geplanten Importkapazitäten als Reserve dienen sollen. Es muss politisch verbindlich sichergestellt werden, dass Terminals, die als Sicherheitsreserve dienen sollen, in normalen Zeiten nicht ausgelastet werden können.

Als Faustregel muss deshalb gelten: neue Importterminals mit Nutzungsbeschränkung ja, neue Exportprojekte nein. Aber wie ist damit die Versorgungssicherheit gewährleistet?

Zunächst die gute Nachricht: Auch ohne den Bau weiterer neuer Exportterminals, die heute noch keine finale Investitionszusage haben, wird sich die globale LNG-Versorgungssituation in den kommenden Jahren strukturell stark entspannen. Vor allem in den USA und Katar befinden sich bereits jetzt viele Exportprojekte im Bau, insgesamt wird sich bis 2027 das globale LNG-Angebot auf dem Weltmarkt um rund ein Drittel erhöhen. Ab 2027 überschreiten die verfügbaren Exportkapazitäten dann die klimakompatible LNG-Nachfrage um rund 20 Prozent. Das zeigen Analysen der Internationalen Gas Union sowie des Energiekonzerns bp. Auch eine Auswertung der Internationalen Energieagentur mit Fokus auf den überregionalen LNG-Handel bestätigt dieses Ergebnis.

Abbildung 2

Selbst in einem Extremszenario, in dem die LNG-Nachfrage weiter ansteigt und die globalen Klimaziele gerissen werden, können die dann verfügbaren Exportkapazitäten bis mindestens in die 2030er Jahre ausreichen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass Deutschland durch eine stärkere Unterstützung für den Ausbau der erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz in Entwicklungs- und Schwellenländern die LNG-Nachfrage senken kann. Durch diesen Verbrauchsrückgang stünde dem Weltmarkt mehr LNG zur Verfügung.

Dieses Prinzip wurde bereits erfolgreich gemeinsam mit Ägypten umgesetzt und ließe sich – auch mit geopolitischen Vorteilen – auf andere Länder übertragen. Mit Unterstützung aus Deutschland und den USA beschleunigt Ägypten seine Pläne zum Ausbau der Erneuerbaren und legt zwölf alte Gaskraftwerke vorzeitig still, was den LNG-Bedarf um zwei Milliarden Kubikmeter reduzieren wird. Neue LNG-Export-Terminals zu bauen ist also nicht nur teuer und unvereinbar mit den globalen Klimazielen, es ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht notwendig.

Das letzte Jahr hat außerdem gezeigt, dass europäische Importeure notfalls große LNG-Mengen über den Spotmarkt beziehen können. Dies ist aber teuer und kann mit spürbaren Unsicherheiten und Preisschwankungen einhergehen. Wünschenswert ist ein solches Szenario also nicht – aber es funktioniert, um im äußersten Notfall Wärme und Strom zu sichern.

Über kluge Regulierung kann die Bundesregierung die wirtschaftlichen Risiken merklich reduzieren: Durch eine Anpassung der LNG-Verordnung ließe sich für einen deutlich größeren Anteil der Importkapazitäten regulatorisch festlegen, dass diese nur mit Kurz- und Mittelfristverträgen durch private Akteure abrufbar sind. Dies verhindert, dass neue Exportkapazitäten angereizt werden. Denn neue Exportterminals erfordern in der Regel aufgrund ihrer hohen Kapitalkosten Langfristverträge für eine erfolgreiche Finanzierung. Daher bieten mittelfristige Verträge von maximal 10 Jahren Laufzeit eine gute Kombination aus Verlässlichkeit und Planbarkeit, ohne langfristige Abhängigkeiten zu schaffen, die Klimapfaden widersprechen.

Dies wäre gegebenenfalls mit zusätzlichen Kosten verbunden. Gasexporteure und Energiefirmen wie Shell oder bp bieten bisher bevorzugt langfristige Lieferverträge an, um das Risiko eines Gasnachfragerückgangs gemäß globaler Klimaziele auf die Importeure zu übertragen. Mittelfristige Verträge sind daher heute selten und teurer, eine öffentliche Bezuschussung privater Akteure könnte anfänglich erforderlich sein. So oder so: Der Abschluss von Mittelfristverträgen, notfalls staatlich befördert, ist dem Abschluss von Langfristverträgen, die neue Exportprojekte ermöglichen, aus Klimasicht vorzuziehen.

Deutschland und Europa können also durchaus Sicherheitsreserven für LNG-Importe entwickeln und generell ihre heimische Nachfrage während des Übergangs zur Klimaneutralität absichern, ohne neue fossile Pfadabhängigkeiten zu schaffen. Dafür ist es aber entscheidend, dass keine zusätzlichen Exportprojekte ermöglicht werden. Darüber hinaus können nur der schnellstmögliche Ausbau erneuerbarer Energien und weitere Effizienzgewinne die fossile Abhängigkeit strukturell beenden. Das sollte auch die Linie der Bundesregierung auf dem am Freitag startenden G7-Gipfel in Hiroshima sein.

Unsere Leseempfehlungen:  Thematisch passend zum Geldbrief können wir euch die Studie von Agora Energiewende an Herz legen, welche einen Weg skizziert, wie wir ein klimaneutrales Europa erreichen können.

Passend zu unserer fiskalpolitischen Arbeit wurde gestern ein IMF Bericht veröffentlicht, der sich kritisch mit der deutschen Schuldenbremsenregelung auseinandersetzt.


Fußnoten

[1] Das Papier ist auf Englisch. Eine deutsche Übersetzung wird in nächster Zeit folgen.


Medien- und Veranstaltungsbericht 17.05.2023

Event der letzten Wochen: Janek war beim Forum for a New Economy zu Gast und diskutierte zusammen mit Prof. Micheal Hüther vom IW Köln, ob Deutschland den Energiepreisschock überleben wird. Eine Aufzeichnung findet ihr hier.

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 08.05.2023 war Janek beim XII. New Paradigm Workshop – Resetting the Economy after the Crises zu Gast. Er diskutierte dort im Speed-Dating-Format zu “Wird Deutschlands Industrie den Energieschock überleben? Empirische Ergebnisse und Projektionen für einzelne Wirtschaftssektoren”. Ihr könnt euch die Aufzeichnung hier ansehen.
    • Am 09.05.23 wurde Max Krahé im Aftonbladet erwähnt.
    • Am 15.05.23 hat das Magazin politik&kommunikation angekündigt, Philippa als eine von 15 Young Thinkers im Themenbereich “Finanzpolitik” auszuzeichnen. Die Auszeichnung wird am 22.05 im Rahmen der Politikawards 2023 in Berlin vergeben.
    • Heute am 17.05.23 war Philippa bei The Beyond Growth 2023 Conference zu Gast und hat einen Input gegeben. Die Veranstaltung kann hier nachgeschaut werden.
    • Ebenfalls heute am 17.05.23 ist der Gastbeitrag „So kann Deutschland Gas kaufen und trotzdem die Klimaziele schaffen“ von Felix, Janek und Simon Müller (Agora Energiewende) bei der Zeit erschienen.
  • Veranstaltungen
    • Am 20.05.23 ist Max Krahé bei der SPD Eimsbüttel zum Thema „Finanzmythen brechen, Zukunft gestalten“ zu Gast. Mit auf dem Podium sind Maurice Höfgen (Ökonom & Buchautor) und Martyna Linartas (Politologin & Aktivistin).
    • Am 25.05.23 um 16:30 Uhr wird Max Krahé in einem Webinar sein neustes Papier über die Stagnation Italiens Zur Anmeldung und weiteren Infos geht es hier.
    • Am 25.05.23 ist Janek zu Gast in Paris bei der FES und spricht auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „What European strategy to achieve a net zero emissions industry?“.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an felix.heilmann.ext[at]dezernatzukunft.org


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