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30. November 2023
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Pola Schneemelcher

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Geldbrief

Vienna Calling

Lesedauer: 8 min

Pola Schneemelcher, Max Krahé

Letzte Woche fand die zweite Konferenz des European Macro Policy Networks (EMPN) statt. Nach dem ersten Treffen diesen März in Rom, ausgerichtet an der Sapienza Universität, hießen uns dieses Mal Philipp Heimberger und das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) in Österreich willkommen. Keynote-Vorträge gab es von Jakob von Weizsäcker, Finanzminister des Saarlandes, und Jeromin Zettelmeyer, Direktor von Bruegel. Dieser Geldbrief fasst die Tagung zusammen.

Ende 2021 gründeten wir das European Macro Policy Network (EMPN). Letzte Woche trafen wir uns zu unserer zweiten EMPN-Konferenz, ausgerichtet vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) in Wien. Mit über 150 Teilnehmenden an zwei Tagen war sie eine gute Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen und gemeinsam über die wirtschaftlichen, politischen und klimawandelbezogenen Herausforderungen, denen Europa derzeit gegenübersteht, nachzudenken.

Wir möchten uns bei Philipp Heimberger und seinem Team bedanken, die dafür gesorgt haben, dass sich alle willkommen fühlten, offene und produktive Diskussionen möglich waren — und die uns mit ausgezeichneter österreichischer Küche glänzend verpflegten. Wir möchten uns auch bei der Arbeiterkammer Wien bedanken, die der Konferenz ihre hervorragenden Konferenzräume zur Verfügung gestellt hat.

Tag Eins: Beziehungen vertiefen

Wie bei unserem ersten Treffen in Rom war der erste Tag den EMPN-Mitgliedern vorbehalten.

Das EMPN ist ein europäisches Netzwerk für die Vertiefung des innereuropäischen Austauschs zu Finanz-, Geld- und Wirtschaftspolitik. Es verknüpft dreizehn Organisationen in sieben europäischen Ländern, darunter Denkfabriken — z. B. Arena Idé in Schweden, das Institut Avant-garde in Frankreich oder das Instituut voor Publieke Economie in den Niederlanden —, Forschungsgruppen — z. B. an der JKU Linz in Österreich und der TU Chemnitz in Deutschland — sowie NGOs und Stiftungen — z. B. die Fondazione Giacomo Brodolini in Italien oder Fiscal Future in Deutschland. Mit seinen herausragenden Experten, Mitgliedsorganisationen, die in ihren jeweiligen nationalen Kontexten glaubwürdig verankert sind, und einem gemeinsamen Ziel —die Verbesserung der makrofinanziellen Architektur Europas — ist das EMPN ein einzigartiges Bindeglied zwischen europäischen und nationalen Debatten und Entscheidungsräumen.Am ersten Tag wurden die persönlichen Beziehungen innerhalb des Netzwerks vertieft und gestärkt. Die Mitglieder gaben sich einen gegenseitigen Überblick über ihre Arbeit — von Denkansätzen für eine Quantifizierung von Klimaschulden über Diskussionen zu Industriepolitik bis hin zur möglichen Identifizierung einer neuen Denkschule — und tauschten sich untereinander aus.

Der zweite Tag: Fiskalpolitik für das 21. Jahrhundert

Der zweite Tag war öffentlich und bestand aus drei Hauptreden und Podiumsdiskussionen. Da der Schwerpunkt des Programms auf Fiskalpolitik lag, sorgte das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts für zusätzliche Dringlichkeit und Energie in den Gesprächen. Der Tag wurde per Livestream übertragen. Die Aufzeichnung kann hier nachgeschaut werden.

Nach den Begrüßungsreden von Philipp Heimberger und unserer hauseigenen Philippa begann der Tag mit seinem ersten Höhepunkt, einer Keynote von Jakob von Weizsäcker, Finanzminister des Saarlandes. Jakob erklärte, wie er einen Transformationsfonds mit 3 Milliarden Euro aufgelegt hat, um Unternehmen und dem öffentlichen Sektor im Saarland die notwendige Unterstützung zu geben, damit diese ihre Klimaziele erreichen und gleichzeitig die Fiskalregel des Landes und das industrielle Ökosystems gewahrt bleiben können.

Kern seiner Rede war die Herausforderung des “Nachhaltigkeitsdreiecks”: die Balance zwischen fiskalischer, politischer und klimatischer Nachhaltigkeit. Auf deutscher und europäischer Ebene schlug er dafür eine dreiteilige Lösung vor: einen speziellen Transformationsfonds, ähnlich dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr; eine Reform der Schuldenbremse, wenn möglich; und ein europäisches Finanzierungsinstrument, das auf den Lehren von Next Generation EU aufbaut.

In der anschließenden Podiumsdiskussion antworteten Helene Schuberth (Österreichischer Gewerkschaftsbund), Georg Feigl (Arbeiterkammer Wien) und Dario Guarascio (Universität Sapienza Rom) auf Jakobs Präsentation. Die Sitzung wurde von Mario Holzner, dem geschäftsführenden Direktor des wiiw, moderiert.

Nach einer kurzen Kaffeepause gab Jeromin Zettelmeyer, Direktor der Brüsseler Denkwerkstatt Bruegel, die zweite Hauptrede. Er erklärte und analysierte die auf Schuldentragfähigkeitsanalysen (auf Englisch: Debt Sustainability Analysis oder DSA) basierenden Reformvorschläge, die derzeit im EU-Haushaltsregelnreformprozess diskutiert werden. Während Jeromin einige Aspekte positiv hervorhob, kritisierte er an den aktuellen Vorschlägen einen Mangel an Ehrgeiz und Transparenz. Seine Verbesserungsvorschläge konzentrierten sich auf die sogenannten „Safeguards“, Regeln, die zusätzlich zu den DSAs quantitative Mindestanpassungen im Haushalt vorschreiben. Er plädierte für eine fiskalisch nachhaltige grüne goldene Regel (hier mehr dazu) als seine bevorzugte Lösung. Das anschließende Publikumsgespräch wurde von Philippa moderiert.

Jens van ‘t Klooster, Professor für politische Ökonomie an der Universität Amsterdam, eröffnete den Nachmittag mit einem Vortrag darüber, wie mit öffentliche Schulden im Kontext des Klimawandels umzugehen ist. Er betonte, dass bestehende Institutionen nicht auf die Herausforderungen des Anthropozäns vorbereitet sind, insbesondere aufgrund eines Mangels an Koordination zwischen der EZB und den Finanzministerien der Eurozone. Jens empfiehlt, diese Koordinierung zu stärken und schlug davor Maßnahmen wie die Abschaffung von Haircuts für supranationale EU-Schulden oder den Einsatz des ESM als Ratingagentur für Staaten vor. Clara Leonard (Institut Avant-garde), Johannes Holler (Fiskalrat Österreich) und Paul Pichler (Universität Wien) diskutierten anschließend diese Ideen, Philipp Heimberger moderierte.

Der Tag endete mit einem Panel (auf Deutsch) zu interdisziplinären Perspektiven für eine progressive Fiskalpolitik. Lukas Oberndorfer (Arbeiterkammer Wien) sprach über Klimafinanzierung, Lea Steininger (wiiw) diskutierte den Zusammenhang zwischen Fiskalpolitik und Vollbeschäftigung, Margit Schratzenstaller-Altzinger (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) sprach über Steuerpolitik und Oliver Picek (Momentum Institut) diskutierte die Stabilisierungsrolle moderner Fiskalpolitik. Kurt Bayer (wiiw) moderierte das Panel.

Die kommenden Monate

Damit endete eine spannende und themenaktuelle EMPN-Konferenz. In den kommenden Monaten werden wir im EMPN damit weitermachen, worum es auf dieser Konferenz im Kern ging: europäische und nationale Finanz- und Wirtschaftsdebatten zu verbinden und sowohl sachlich als auch politisch einzuordnen.

Damit bauen wir auf den Fortschritten auf, die seit unserem ersten Treffen in Rom vor sechs Monaten erzielt wurden: Das Institut Avant-garde in Paris hatte Ende Juni seinen öffentlichen Start, wurde in Les Echos (in etwa die französische Financial Times) vorgestellt und veröffentlichte erste Arbeiten und Artikel, darunter ein Interview mit Xavier Jaravel und zwei Gastbeiträge in Alternatives Economiques. Anfang Oktober hatte dann unsere finnische Partnerorganisation, UTAK, ihren öffentlichen Start, der in der wichtigsten finnischen Tageszeitung, Helsingin Sanomat, besprochen wurde.

Auch der transnationale Aspekt des EMPNs war in den letzten Monaten sichtbar: Donato di Carlo, Gründer und Direktor unserer Partnerorganisation LUHNIP, gab ein Interview in der ZEIT, und gemeinsam mit IPE, unseren niederländischen Partnern, veröffentlichten wir erste Ergebnisse aus gemeinsamen Forschungsarbeiten zu Querverbindungen zwischen Fiskal- und Klimazielen.

Wir freuen uns ebenfalls, dass wir für einige unserer Partner, darunter Philipp Heimberger und sein Team am wiiw, IPE und Fiscal Future, weitere Finanzmittel sichern und so ihre hervorragende Arbeit weiterhin unterstützen konnten. Darüber hinaus haben wir eine Koordinationsstelle für das EMPN eingerichtet, die für die Koordinierung und Entwicklung des Netzwerks zuständig ist und die Pola Schneemelcher Anfang Juni übernommen hat. Wir danken Partners for a New Economy für die Finanzierung dieser Stelle.

Als Nächstes werden wir eine eigene EMPN-Website einrichten, um das Netzwerk und unsere Partnerorganisationen noch besser sichtbar und zugänglich zu machen. Und schließlich steht die nächste Konferenz schon vor der Tür: Frühjahr 2024 in Den Haag, im Vorfeld der Europawahlen!

Unsere Leseempfehlungen: 

Passend zum EMPN-Schwerpunkt dieses Geldbriefs kommen die heutigen Leseempfehlungen in unterschiedlichen Sprachen:

  • Deutsch: Donato di Carlo (Gründer unserer italienischen Partnerorganisation LUNHIP) sprach mit der ZEIT über das italienische Reddito di cittadinanza, ein an Bedingungen geknüpftes Mindesteinkommen in Italien, welches die derzeitige Regierung gerade abschafft.
  • Englisch: LUHNIP veröffentlicht ein monatliches Briefing zu europäischer Industriepolitik. Es enthält Beiträge zu wechselnden Schwerpunktthemen, einen Überblick über die jüngsten politischen Entwicklungen, sowie Gastbeiträge. Wir empfehlen es!
  • Französisch: Unsere französische Partnerorganisation Institut Avant-garde sprach mit Xavier Jaravel, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der LSE, über sein Buch “Marie Curie habite dans le Morbihan” und seinen neuen Ansatz zur Innovation. Im Anschluss an unsere Konferenz veröffentlichte Institut Avant-garde auch eine Zusammenfassung von Jens van ‘t Kloosters Vortrag auf der EMPN-Tagung.
  • Niederländisch: Aus den Niederlanden kommt ein Kommentar in De Telegraaf von Jasper J. van Dijk von IPE. Er hebt die außerordentlichen bürokratischen Hürden hervor, die das derzeitige niederländische Sozialversicherungssystem sowohl dem Staat als auch den Leistungsempfängern auferlegt.


Medienbericht 30.11.2023

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 15.11.23 wurden unsere Reformvorschläge zur Schuldenbremse von UBS in ihrem European Economic Comment erwähnt.
    • Am 23.11.23 wurde Philippa in der SZ
    • Am 24.11.23 hat die Zeit unseren Reformvorschlag zur Konjunkturkomponente erwähnt.
    • Am 26.11.23 wurde Max im Tagesspiegel zur Schuldenbremse zitiert.
    • Am 27.11.23 hat unser Open House Webinar mit Prof. Dr. Helge Braun, MdB, zum Bundeshaushalt 2024 stattgefunden. Wer möchte, kann hier die Aufzeichnung der Veranstaltung anschauen.
    • Am 28.11.23 hat Max am New Economy Short Cut vom Forum New Economy teilgenommen und dort mit dem Autor Quinn Slobodian über sein neues Buch “Crack-Up Capitalism” diskutiert.
    • Am 29.11.23 war Philippa in der Radiosendung radioWelt von Bayern2 und hat über die aktuelle Debatte zum Bundeshaushalt gesprochen.
    • Am 30.11.23 haben Felix und Max einen Artikel „The renewable answer to Europe’s fossil-fuel inflation“ in Social Europe veröffentlicht.
    • Am 30.11.23 wurde ein Interview mit Max zur Reform der Schuldenbremse im RND veröffentlicht.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an pola.schneemelcher[at]dezernatzukunft.org


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